Was Jugendliche über Kirche denken – genau das wollte Bischof Hein der Evangelischen Kirche Kurhessen Waldeck gerne genau wissen und lud 50 Jugendliche aus seinem ganzen Kirchengebiet zu sich nach Kassel ein (zum Hearing Jugend & Kirche). Zuhören und lernen wolle er, so eröffnete dann auch Bischof Hein den gemeinsamen Tag und versicherte den Jugendlichen, dass er das Gesagte sehr ernst nehmen wolle. Und dann passierte genau das, was sich der Bischof wünschte: Die Jugendlichen sagten das, was sie wirklich über Kirche dachten und es wurde nicht mit Kritik und offenen Worten gespart. Methodisch kreativ wurde dies vom Fachreferenten für Religion, Theologie und Spiritualität der EKKW Johannes Meier moderiert, so dass alle Jugendlichen die Möglichkeit hatten sich zu beteiligen. Einige Jugendliche hatten ihre Kritik und ihre Wünsche an Kirche auch in der Form eines Plakates mitgebracht und präsentierten dies in großer Runde, manches wurde auch zusammen an diesem Tag erarbeitet und angeregt diskutiert. Dazu wurde ein quantitatives Stimmungsbild zum Thema „Jugend & Kirche“ präsentiert, welches in den letzten sechs Wochen in der Form eines Fragebogens von 433 Jugendlichen ermittelt wurde.
Zusammenfassend hier einige Ergebnisse des Tages:
Eine zentrale Kritik war: Gottesdienste sind langweilig, altmodisch und nicht zeitgemäß, die Predigten haben wenig Relevanz für das Leben der Jugendlichen und sind deshalb nicht interessant. Die Kirche hat zu viel Tradition und zu wenig Mut zur Innovation. Und: Kirche wird vor allem über den Gottesdienst wahrgenommen und Jugendarbeit wird nur bedingt als Kirche gesehen, Diakonie fast gar nicht. Was bedeutet das aber? Kirchenbindung ist eine Art Kommunikation, die geprägt wird durch das Wechselspiel von Nähe und Distanz. Die Überwindung von Distanz geschieht vor allem über die Identifikation mit Themen und Menschen, dazu kommen die aktuellen lebensweltlichen und biografischen Erfahrungen. Wenn wir nun davon ausgehen, dass die meisten ev. Kirchen eine gottesdienstzentrierte Kirchenidentifikation haben, viele Jugendliche sich aber mit dem Gottesdienst weder thematisch noch von den verantwortlichen Menschen identifizieren, dann wird das Dilemma deutlich sichtbar. Die Ergebnisse der quantitativen Umfrage waren insgesamt etwas positiver, so finden die Hälfte der Befragten Jugendlichen (aus der Jugendarbeit und dem ev. Religionsunterricht), dass ihnen die Kirche wichtig ist, 37% sagen, dass sie zur Kirche gehören wollen und 76% wollen ihre Kinder später auch mal taufen lassen. Deutlich schwieriger wird es, wenn es um die schon erwähnten Gottesdienste geht. Hier wünschen sich die Jugendlichen mit großer Mehrheit moderne, offen-spontane und lebensnahe Gottesdienste, in denen sie auch die Möglichkeit haben mitzumachen. Sie wünschen sich mehr Möglichkeiten, ihre Gedanken und Ideen einzubringen. Es muss sich nicht alles ändern, weil sie ja nicht die einzigen sind, die am Gottesdienst teilnehmen, aber vor allem in Bezug auf Musik und Sprache wünschen sich die Jugendliche Veränderungen und ein Mitspracherecht. Des Weiteren wurde der Kirche ein Imageproblem attestiert. Viele Jugendliche beklagen, dass Kirche im Kontext ihres Lebens (Schule, Peergroup etc.) entweder gar nicht oder als veraltet wahrgenommen wird. Das hat mit der Lebenswelt selbst zu tun (Bsp. Social Media) aber auch mit den fehlenden (schon angesprochenen) Identifikationspunkten, wie J. auf den Punkt bringt: „Auf die Fragen, die mich und meine Freunde wirklich bewegen, hat die Kirche keine Antwort.“ Kirche, so die Jugendlichen, soll näher an den Menschen sein und sich mehr für sie einsetzen.
Identifikationsmomente und Kritik
Ein Thema, das sich durch den ganzen Tag gezogen hat und mich in der Massivität doch überraschte, ist die Kritik an Pfarrerinnen und Pfarrern. Viele fühlen sich von ihren Pfarrerinnen und Pfarrern nicht verstanden oder nicht ernstgenommen, wenn sie sich einbringen wollen. Viele gute Erfahrungen und Identifikationsmomente aus der Jugendarbeit werden durch diese teilweise schlechten Erfahrungen relativiert. „Mein Pfarrer ist einfach nicht authentisch“ oder „Meine Pfarrerin predigt als ob sie selbst nicht glaubt, was sie sagt“ waren einige Beispiele der Jugendlichen. Dies erinnert stark an die „Hattie Studie“, die die Rolle der Lehrerinnen und Lehrer als wesentlicher sieht als alle anderen Reformbedingungen. Hier wären neue Begegnungsräume zwischen Pfarrerinnen und Pfarrern dringend geboten.
Das Gesagte wird jetzt analysiert und eingeordnet, gerade weil Jugendliche in dieser Altersphase auch besonders kritisch sind und sich auch abgrenzen müssen. Doch wo ist ihr Platz in unseren Kirchen? Wie können sich Jugendliche identifizieren? Das sind einige der spannenden Fragen die zum Abschluss des Tages debattiert wurden, um dann zu verabreden, wie es weitergehen muss, denn Bischof Hein ließ keinen Zweifel daran, dass sich in der Kirche was ändern muss, damit Jugendliche wieder eine höhere Identifikation und Beteiligung bekommen.
Vorbereitet wurde das Hearing von Oberlandeskirchenrätin und Bildungsdezernentin Dr. Gudrun Neebe und Elke Hartmann, Referatsleitung im Referat Kinder- und Jugendarbeit mit den Schwerpunkten Grundsatzfragen, Fach- und Praxisberatung und Konzeptionsentwicklung.
Ein ausführlicher Bericht mit allen Ergebnisse folgt.
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