„Generation Lobpreis. Über die Emotionalisierung des Glaubens. Erste Ergebnisse der empirica Jugendstudie 2018“

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Über vier Jahre haben wir als Forschungsinstitut empirica an der Studie zu hochreligiösen Jugendlichen gearbeitet. Gestern ist dazu das Buch „Generation Lobpreis & die Zukunft der Kirche“ erschienen, in dem wir nicht nur die Ergebnisse der Studie beschreiben, sondern sie auch in die aktuelle Jugendbiographie einordnen und fragen, was dies für Kirche und Jugendarbeit bedeutet.

Hochreligiöse Jugendliche?

Dabei ist dies eine in Deutschland nicht zu unterschätzende Gruppe, denn folgt man dem aktuellen Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung, so sind über 20 Prozent der Menschen im Alter von 16 bis 29 Jahren in Deutschland „hochreligiös“. Dies bedeutet, dass für diese Menschen religiöse Inhalte, Deutungsmuster und Praktiken besonders relevant sind und „einen strukturierenden Einfluss auf das gesamte Erleben und Verhalten“ haben, wie zum Beispiel durch tägliches Gebet und die Erwartung, dass Gott ins eigene Leben eingreifen kann. Die Gruppe der hochreligiösen Jugendlichen ist in sich sehr heterogen und umfasst muslimische, christlich-orthodoxe, katholische sowie evangelische Jugendliche. Wir haben nun die Untergruppe der evangelisch-hochreligiösen Jugendlichen in ihren sehr unterschiedlichen Ausprägungen genauer untersucht. Sie reichen vom Engagement in einer evangelischen Kirche über Freikirchen bis zu selbstorganisierten Hauskreisen.Sowurden 3187 evangelische Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren durch einen umfassende Onlinebefragung erforscht. Ziemlich genau drei Viertel (75 Prozent bzw. 2.386) der Befragten Jugendlichen konnten als hochreligiös identifiziert werden. Zusätzlich wurden 62 ausführliche qualitative Interviews durchgeführt, wo die Jugendlichen selbst zu Wort kamen und über ihren Glauben erzählt haben. Im Folgenden werden einige Ergebnisse aus dem Buch vorgestellt.

Warum „Generation Lobpreis“?

Für uns bringt der Begriff „Generation Lobpreis“ etwas zum Klingen, das sich durch fast alle Ergebnisse hindurchzieht und stimmig ist mit dem Gesamtbild, das wir aus der Vielzahl und Vielfalt der Ergebnisse gewonnen haben. Einerseits spielt ganz faktisch der Lobpreis eine wichtige Rolle. Uns war das vorher bewusst, jedoch hat uns überrascht, wie intensiv Lobpreis im Glauben der evangelisch hochreligiösen Jugendlichen verortet ist und welch tiefe und beispielhafte Bedeutung er für das eigene Glaubensleben hat. Dabei geht es nicht nur um Lobpreis als Musik, sondern es geht um das Lebens- und Glaubensgefühl, das Lobpreis vermittelt. Hierin zeigt sich auch das, was man eine Individualisierung, Emotionalisierung oder Subjektivierung des Glaubens nennen könnte. Dies gilt für das Gottesbild (höchster Wert: Gott liebt mich bedingungslos) wie für die Glaubenspraxis (Lobpreis ist eine wichtigere Quelle des Glaubens als Gebet und Bibellesen), für die Kirche (höchster Wert: Gemeinschaft) oder die Motivation zum Ehrenamt (höchster Wert: weil es Spaß macht).

Generation Lobpreis als Teil der Jugendkultur in Deutschland

Wenn wir uns die Entwicklung der Jugendkultur der letzten Jahrzehnte im Kontext der Jugendforschung anschauen, dann stellen wir fest, dass die großen Stichworte Erlebnisorientierung, Subjektorientierung und Konsumorientierung sind. Bei der heutigen Jugendgeneration ist eine starke Gegenwartsorientierung festzustellen. Zum einen gibt es einen Bedeutungsverlust der Vergangenheit, da man sich aufgrund des beschleunigten sozialen Wandels immer weniger an der Vergangenheit und den dort gemachten Erfahrungen orientieren kann. Zum anderen gibt es aber in einer postmodernen Gesellschaft auch einen eklatanten Mangel an gesellschaftlich positiven Visionen für die Zukunft. In diesem Sinne bleibt nichts anderes als die Gegenwart und ein gewisser Pragmatismus sowie ein mindestens moderater Hedonismus, welche sich als Kernwerte durch diese Generation ziehen. So wurden die Ergebnisse der letzten Shell Jugendstudie (2015) gerne mit „die pragmatische Generation“ zusammengefasst. Wenn es nun um die Frage geht, wie unsere befragten Jugendlichen ihren Glauben leben und erleben, wie sie ihr Glaubensleben gestalten und wie dies in ihrem Alltag verortetet ist, stellen wir fest, dass sich eben erwähnte Entwicklungen hier auch deutlich zeigen.

 

Generation Lobpreis: Was stärkt den Glauben?

Die Frage nach der Stärkung des eigenen Glaubens ist ein guter Einstieg in die persönliche Glaubenspraxis hochreligiöser Jugendlicher. Sie zeigt, was Jugendlichen für ihren eigenen Glauben besonders wichtig ist, welchen Einflüssen sie sich aussetzen und aus welchen Glaubensquellen sie in ihrem Alltag schöpfen. Die höchste Zustimmung auf die Frage, was den eigenen Glauben stärkt, hat Lobpreismusik/Worship mit 64 Prozent. Dieses Ergebnis überrascht, da gerade Hochreligiöse traditionell zuerst mit „Gebet“ (auf Platz zwei) und „Bibellesen“ (auf Platz sechs) in Verbindung gebracht werden. Erwartet hoch bei der Frage nach der Stärkung des eigenen Glaubens sind die „Gespräche mit Freunden und Familie“ (mit 54 Prozent auf Platz drei) und „christliche Freizeiten“ /mit 47 Prozent auf Platz vier). Dass „Predigen im Gottesdienst“ mit 44 Prozent auf Platz fünf noch vor „Bibellesen“ kommt, ist überraschend und interessant.

 

Überrascht von der Bedeutung von Social Media

Es zeigt aber auch, dass die neue Generation der hochreligiösen Jugendlichen einen nicht einfachen Zugang zur Bibel hat. Die gemeinschaftlichen Angebote zur Stärkung des Glaubens, wie „Kleingruppen“ (mit 37 Prozent auf Platz sieben) und „Mitarbeit in Gemeinde und Diakonie“ (mit 29 Prozent auf Platz acht), liegen im Mittelfeld. Besonders Ersteres ist aufgrund der hohen Bedeutung von Gemeinschaft eine Überraschung. Einen Platz dahinter (Platz neun) halten sich „christliche Bücher“ mit 19 Prozent. Für uns überraschend war, dass „christliche Konferenzen“ mit nur 15 Prozent auf den zehnten Rang kamen. Gerade in Bezug auf Lobpreis gibt es durchaus das Bild der „Eventisierung“ des Glaubens. Dieser Befund spricht jedoch nicht dafür. Mit nur 7 Prozent Zustimmung (auf dem 13. Platz) kamen das „Internet“ mit Onlinepredigten, Facebook, Blogs etc. Dies überraschte uns ebenfalls, da für die neue Generation „Social Media“ bekanntlich eine, wenn nicht die entscheidende Rolle spielt. Jedoch verbinden die Jugendlichen dies nicht mit einer Stärkung ihres Glaubens. Auf den letzten Platz (mit 5 Prozent) kamen die „christlichen Zeitschriften“, was dem ohnehin von Überlebenskämpfen geprägten christlichen Zeitschriftenmarkt auch keine große Hoffnung auf bessere Zeiten machen dürfte.

 

Glaube ist vor allem im Alltag wichtig

Wie sich der Glaube hochreligiöser Jugendlicher im Alltag zeigt, war für unsere Studie von besonderer Bedeutung. Mit Abstand den höchsten Zustimmungswert (81 Prozent) hat die Aussage, dass der „Glaube eine Hilfe für den Alltag ist“.  Hochreligiöse Jugendliche erleben den Glauben als etwas Positives, das ihnen im Alltag hilft und Halt gibt. Die abgefragten negativen Erfahrungen, wie gefühlte Ausgrenzung oder im Alltag hervorgerufene Konflikte durch den eigenen Glauben, spielen, wie die Grafik zeigt, eine untergeordnete Rolle (nur 14 bzw. 7 Prozent Zustimmung). Wie wirkt sich der Glaube auf die sozialen Beziehungen aus, zum Beispiel bei der Auswahl von Freunden? Für hochreligiöse Jugendliche spielt der Glaube durchaus eine Rolle bei der Auswahl der Freunde, im Gegensatz zu religiösen Jugendlichen, wie die folgende Grafik zeigt. Als wir nach weiteren Konsequenzen des Glaubens im Alltag der Jugendlichen fragten, wurde deutlich, dass hochreligiöse Jugendliche ihren Glauben eher selbstverständlich in ihrem Alltag leben. Etwa jede oder jeder zweite Jugendliche „äußert seinen Glauben frei heraus, auch wenn er oder sie dadurch aneckt“. Der Aussage „in Bezug auf meinen Glauben bin ich gegenüber anderen eher zurückhaltend“ stimmt nur jede oder jeder vierte Jugendliche zu. Nur 12 Prozent sagen, dass sie aufgrund ihres Glaubens in ihrem Freundeskreis Kompromisse machen müssen. Interessant ist, dass die Jugendlichen trotz dieser selbstbewussten Werte beim Thema Mission zurückhaltend sind. Nur knapp ein Drittel versucht „möglichst viele Menschen für den Glauben zu gewinnen“.

 

Das Ehrenamt – weil es Spaß macht

Ehrenamtliche bilden das Rückgrat jeder Kirchengemeinde, ohne sie würden viele Kreise und Aktivitäten kaum gelingen. Auch deshalb hat der „Kampf um Ehrenamtliche“ längst begonnen, nicht nur in vielen Kirchen und Gemeinden, sondern auch in Sport- oder Musikvereinen. Ehrenamtliche sind ein hohes Gut, denn in der öffentlichen Wahrnehmung leben wir in Zeiten, in denen es Organisationen und Institutionen bei jungen Menschen eher schwer haben. Wenn wir unsere Zielgruppe der Jugendlichen anschauen, stellen wir fest, dass diese sich gerne ehrenamtlich engagieren. Nach dem Freiwilligensurvey 2014 sind es 46,9 Prozent der Jugendlichen, die sich ehrenamtlich mindestens einmal die Woche engagieren. In unserer Studie ist der Wert mit 73 Prozent der hochreligiösen Jugendlichen, die sich mindestens einmal die Woche ehrenamtlich engagieren, noch höher. Von den religiösen Jugendlichen engagieren sich mindestens einmal die Woche 59 Prozent ehrenamtlich in ihren Gemeinden. Hochreligiös bedeutet also auch hochengagiert.

 

Wer ehrenamtlich mitarbeitet findet Gemeinde gut

Unsere Studie bestätigt, je häufiger die Jugendlichen mitarbeiten, desto höher ist die Zustimmung und die Identifikation mit der Gemeinde. Wie sieht diese ehrenamtliche Mitarbeit aber konkret aus? Dieser Frage sind wir durch das Erfragen der Bereiche ehrenamtlichen Engagements im christlichen Kontext nachgegangen. Es tauchten die zu erwartenden Felder der gemeindlichen Mitarbeit auf wie Freizeiten (54 Prozent), die Übernahme von Leitungsaufgaben (47 Prozent), Arbeit mit Kindern (45 Prozent), Mitwirkung im Gottesdienst (44 Prozent) oder der Arbeit mit Teenagern (36 Prozent). Schauen wir uns die Ergebnisse im Detail an, so können wir feststellen, dass kirchliche Jugendliche sich etwas häufiger pro Monat (75 Prozent) als freikirchliche Jugendliche (71 Prozent) engagieren sowie männliche Jugendliche (75 Prozent) etwas häufiger als weibliche (72 Prozent). Zu erwarten war, dass kirchliche Jugendliche sich beim Thema Mission eher zurückhalten (8 Prozent) als Freikirchler (15 Prozent). Zudem wirken Männer eher im Gottesdienst mit (50 Prozent) als Frauen (40 Prozent), während weibliche Jugendliche im Vergleich zu männlichen vermehrt in die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wollen (49 im Vergleich 38 Prozent). Obwohl sich hochreligiöse Jugendliche außerordentlich und überdurchschnittlich engagieren, endet ihr Ehrenamt nicht in der Gemeinde, sondern geht über dieses hinaus. Denn etwa jede beziehungsweise jeder Dritte engagiert sich zusätzlich auch außerhalb des christlichen Kontextes. Dabei engagieren sich die hochreligiösen Jugendlichen vor allem im Sportverein (39 Prozent), in Bildungs- (31 Prozent) und sozialen Einrichtungen (24 Prozent). Engagement in politischen oder kulturellen Einrichtungen kommt hingegen eher selten vor (9 Prozent beziehungsweise 6 Prozent). Auf ähnliche Ergebnisse kommt auch die repräsentative Studie „jung – evangelisch – engagiert“ der EKD, die feststellt, dass 56 Prozent der 18- bis 26-jährigen evangelischen Jugendlichen sich aktiv im Bereich der Sozialarbeit engagieren, im Gegensatz zu 36 Prozent der Religionslosen

 

Über Gott reden? Sehr gerne – missionieren aber eher nicht

Interessant ist auch das Bild im Blick auf Mission und der Auskunftsfähigkeit des eigenen Glaubens. Auf der einen Seite bestätigt sich das erwartete Ergebnis. Je hochreligiöser die Jugendlichen sind, desto exklusivistischer ist ihr Glaube, über den sie gerne und selbstbewusst besonders mit ihren Freunden reden, dabei aber andere Glaubensformen und Religionen wertschätzen. Auf der anderen Seite wird das Thema Mission eher kritisch gesehen und andere Religionen und Weltanschauungen respektiert und akzeptiert. Während in den quantitativen Ergebnissen noch 63 Prozent der hochreligiösen Jugendlichen glauben, dass vor allem ihre Religion recht hat, wurde diese Aussage in den qualitativen Interviews zunehmend relativiert. Anderen Religionen wurde zumindest das Heil beziehungsweise der Glaube nicht abgesprochen. Diese Tatsache kann sicherlich unterschiedlich interpretiert werden, deutlich wird aber, dass die zunehmende Pluralisierung auch bei den hochreligiösen Jugendlichen sichtbar wird. Vor dem Hintergrund der Emotionalisierung des Glaubens und im Kontext der anderen Ergebnisse unserer Studie kommen wir zu der Annahme, dass Jugendliche ihren Glauben als wahr ansehen, weil er sich für sie wahr anfühlt. Da dieses Gefühl allerdings nur subjektiv ist, kann man ihn anderen wiederum nicht absprechen. Der Subjektivismus der Jugendlichen vereint also exklusivistischen Glauben und eine Pluralisierungsfähigkeit und ermöglicht somit eine neue dialogische Haltung gegenüber anderen Religionen. Michael, beschreibt dies so: „Jede Religion hat ihre Daseinsberechtigung wie das Christentum auch.“

 

Das Buch

Dies ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt der vielen interessanten Ergebnisse, wie Bibelverständnis, Sexualethik, Kirchenbild etc. Auch sehr spannend im Buch ist, dass wir vier Leute/Gruppen gebeten haben, die Ergebnisse aus ihrer Sicht zu kommentieren, so schreiben junger Erwachsener (von Büren, Klötzer und Guttenberger), ein Lobpreisleiters und Songwriters: (Albert Frey), ein Kirchenmusiker (Igor Zeller) und ein Theologe (Arne Bachmann), wie sie die Ergebnisse jeweils einordnen und verstehen. Spannend.

 

Der Forschungsbericht

Für Interessierte gibt es auch einen ausführlichen Forschungsbericht (278 Seiten), der genau aufzeigt, wie wir vorgegangen sind und wie wir methodisch gearbeitet haben.

 

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