“Wenn Konservative der Kirche ein Alibi geben und die es dankend annimmt: Eine Reflexion über die Reaktionen auf die Predigt von Quinton Ceasar und die Frage, was der eigentliche Skandal ist.”

Theologie

Es gab in der letzten Woche eine intensive Auseinandersetzung zur Abschlusspredigt des Kirchentags von Quinton Ceasar, und ich möchte noch einmal nachhaken, denn die meisten Diskussionen gehen am eigentlichen Skandal der Predigt vorbei, ja vernebeln ihn sogar.

Die Predigt ist eine harsche Kritik an den geistlichen Eliten unseres Landes, an der Evangelischen Kirche und an uns als Christinnen und Christen. Da hält uns jemand brutal den Spiegel vor und sagt: Ihr kümmert euch nicht um die Schwächsten der Schwachen. Ihr überseht die in eurer Mitte, die Not leiden. Das will Gott nicht. Ja, man kann über den einen Satz (“Gott ist queer”) streiten, aber man kann ihn auch als Alibi nehmen, um die Kritik nicht hören zu wollen, zu verschleiern und sich so aus der Verantwortung zu stehlen. Ich finde es geradezu grotesk, wie viele Konservative dies für die Evangelische Kirche und sich selbst tun. Sie stellen sich unfreiwillig und schützend vor die EKD und geben der Kirche dadurch ein Alibi. Und viele Kirchenleute verteidigen den Satz (“Gott ist queer”) und denken, ach, wie gut sie sind. Aber wir sollen uns alle nicht an diesem Satz festhalten, sondern an Jesus. Jetzt ist die Zeit, aufzuwachen und ehrlich zu schauen: Wo werden Menschen in unseren Reihen diskriminiert und marginalisiert? Jetzt ist die Zeit, die scharfe Kritik von Quinton Ceasar ernst zu nehmen und eine Debatte zu starten:

Denn ihr sagt: Alles hat seine Zeit.

Aber marginalisierte Menschen haben keine Zeit.

Bitte lügt uns nicht an. Denn wir können nicht mehr warten.

Wir leiden, gehen unter.

Jesus sagt: Jetzt ist die Zeit.

Kirche ist kein sicherer Ort. “Wenn ihr von der Liebe predigt, die alles besiegt, und trotzdem meine Geschwister und mich diskriminiert – wegen unseres Einkommens, unserer Hautfarbe, unserer Behinderung oder unserer queeren Identität –, dann sagen wir: Bitte lügt uns nicht an!”

Wir haben keine sicheren Orte in unseren Kirchen. Wir können nicht mehr warten, bis endlich unsere Regierung, der Rat der EKD oder das Präsidium des Kirchentags diverser und inklusiver besetzt wird.

Gott ist immer auf der Seite derer, die am Rand stehen, die nicht gesehen und nicht gehört werden. Und wenn Gott an ihrer Seite ist, dann ist da auch unser Platz.

Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Black Lives Matter. Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Gott ist queer. Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Wir lassen niemanden zurück. Jetzt ist die Zeit, zu sagen: Wir schicken ein Schiff.

Hänge dich an Jesus und nicht an Institutionen, Macht oder Privilegien.

Es ist jetzt die Zeit, sich an Jesus und seiner Liebe festzuhalten.

Hänge dich an die Liebe Gottes. Nur die Liebe Gottes befreit.

Nur die Liebe Gottes befähigt uns nicht nur zu reden, sondern auch zu handeln.

 

Und ja, es gibt viel zu tun…

 

Hier ist die ganze Predigt zum Nachlesen:

 

 

Bild: evangelisch.de

10 Comments

  1. Georg Wagener-Lihse

    Danke für die klare Ansage und die schärfere Analyse.
    Würde das neben der ganzen Debatte um geschlechtliche Zuschreibungen nicht auch für die Klimanotlage gelten, deren Leidtragende ja auch gerade die Marginalisierten sind und nicht der kirchliche Mittelstand?
    Ich würde gerne darüber ins Gespräch kommen

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    • Lilo Horsch

      Georg Wagener-Linse, wie krass, dass Sie diese Frage hier aufwerfen, exakt die gleiche Frage stellte ich mir soeben auch! und aus gutem Grund, weil ich erst gestern abend wieder von einem Pastor erfuhr, der immer noch allen Ernstes behauptet, die Dürren und entsprechenden Hungersnöte in Regionen wie der Sahelzone hätten nichts mit dem Menschen gemachten und somit von uns Industrienationen verschuldeter Erderwârmung zu tun. das hat mich gestern tief erschüttert, wie Christen in Lehr – ind Leitungsfunktionen immer noch die Augen vor der Wirklichkeit vers chließen, wissenschaftlich widerlegte Unwahrheiten als Wahrheit Gottes verbreiten undd somit den christlichen Glauben lächerlichkeit preis geben. Denn welcher gebildete Mensch kann solche Pastoren ernst nehmen? Ja, bitte, lassen Sie uns endlich in christlichen Kreisen darüber reden und diese Schieflage, die besonders in Freikirchen noch immer akzeptiert wird, laut anprangern!

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  2. Der soziale Aspekt, die Amosähnliche Aufrüstung zum Aktiven Widerstand sind Aspekte die du richtig punktiert hast. Ob er dabei seinen oder überhaupt eine Glauben an einen transzendenten Gott der aus sich selbst heraus im Blick auf Ewigkeit Rettung durch sein eigenes Leben angebahnt auf den Weg gebracht hat, vergessen hat es vielleicht sogar ausschließt das mag der Grund von Kritik sein. Die Pia desidera hat sich, so scheint es, auf Diesseitigkeit. beschränkt. Die Kraft Gottes durch seinen Geist wird im persönlichen Umgang mit Gott selbst wirksam…. Versteht ihr was ich meine?

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  3. Hallo Hr. Faix,

    was meinen Sie? Ist nicht ihr Satz “Wo werden Menschen in unseren Reihen diskriminiert und marginalisiert?” durch die Fokussierung auf “in unseren Reihen” problematisch?

    Wir sind doch hier mehr oder weniger eine “gated community” in D: Kaum einer hungert, friert, duerstet (bis auf zT Obdachlose?).

    Waren Sie nicht lange in Afrika?
    Meinen Sie nicht, bevor wir die (geringe/fast laecherliche) Diskriminierung/Marginalisierung in D (auch von Queeren) “bekaempfen” sollten, gaebe es wichtigere Baustellen in der Welt?
    Und in D: sind da nicht Arme, Witwen, Waisen, Alte, Kranke – wie schon frueher – die wirklich Unbeachteten? Um die Pride Paradler mache ich mir da jetzt weniger Sorgen …

    Da unsere Ressourcen stets begrenzt sind, bedeutet die Zuwendung zu einem Mini-Problem leider meist automatisch die Abwendung von einem Midi- oder Maxi-Problem.

    “Das eine tun und das andere lassen” scheitert leider oft an der begrenzten Realitaet?

    Letztendlich kann nur personalisiert gelten: “Jesus hat mir auf das Herz gelegt, mich um X oder Y zu kuemmern” (der beruehmte Seestern am Strand, fuer den es einen Unterschied macht).
    Generelle “schlechte Gewissen”-Ansprachen fuehren nur zu Rechtfertigung, Ablehnung, Bockigkeit. Das einzige, was veraendert und bereit macht, ist mE “die Liebe Jesu vor Augen malen”. Das macht unsere Herzen weich!
    Davon war aber eher wenig in der Ansprache von Hr. Ceasar, oder? (womoeglich kann er nix dafuer?)

    Oder wie wuerden Sie es besser/anders ausdruecken?

    LG Joerg

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  4. Vielen Dank Jörg (ich nehme das du, hoffe, es passt),
    Ich nehme das anders wahr: Ich bin seit vielen Jahren mit zwei Gruppen in der EKD im Gespräch: Menschen mit Behinderungen und People of Color. Beide erleben Diskriminierungen und ich finde, dass dies gerade das Prophetische an der Predigt war. Mich hat das an Amos erinnert und die Kritik am eigenen Volk. Und ich würde mich selbst unter diese Kritik stellen. Und gerade das habe ich in Südafrika gelernt: Nicht ich richte über die Benachteiligten, sondern sie haben eine eigene Stimme. Diese Stimme haben wir jetzt gehört und klar, der erste Reflex ist: Gilt doch nicht uns! Wir sind doch die Guten! Woanders ist es schlimmer! Aber die griechischen Witwen sind mitten in der ersten Kirche am hungern gewesen, so ist die Diakonie entstanden.

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    • Vielen Dank fuer die nette Antwort, Tobias,

      ich verstehe sie so:
      – mir(Tobias) sind die Queeren und Behinderten “aufs Herz gelegt”
      das ist voll OK und spiegelt ja damit deine momentane pers. Berufung/Schwerpunkte wieder?!
      Wichtig scheint mir dabei stets zu betonen: Das ist MEIN Weg, das kann aber muss nicht verallgemeinert werden.

      Trotzdem haette ich mir noch ein weises Wort zu folgender Problematik gewuenscht:
      – RESSOURCEN zum Helfen sind begrenzt, wie soll man entscheiden, wer Hilfe dringender braucht (sind wir nicht staendig in einer “Hilfs-Triage”)?
      – was ist mit EFFIZIENZ und EFFEKTIVITAET bei der Wohlfahrt?
      Orientiert man sich an: mit welcher Geld-Einheit kann man maximal vielen Hilfe/Milderung einbringen? Oder laesst man alles mehr oder weniger ungeplant laufen und mal bekommt der eine Vogel einen Wurm mal der andere, aber ein paar Verhungern stets?
      – welchen STELLENWERT/RANKING hat “nur” Diskriminierung im Vergleich zu existenziellen Problemen (Hunger, Durst, Frieren, Mord, Vergewaltigung, Rechtsbruch, Verfolgung). Es gibt doch nur ein Helfer-Leben, sind nicht manche Dinge dringender/wichtiger/ungerechter als andere (wie ist das aus Gottes Sicht)?

      Persoenlich versuchen wir ueber mehrere Projekte und Schwerpunkte zu streuen (Geld spenden) und kuemmern/befreunden uns ganz praktisch mit Fluechtlingen.

      LG Joerg

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      • Charly

        Das sind interessante Gedanken. Aus meiner Sicht geht es nicht nur ums “Helfen” – das macht doch wieder eine Gefälle zwischen “mir” und “den anderen”. Einsatz für queere Menschen oder people of color in einer Kirche in Deutschland sollte gar keine Ressourcen für Notleidende weltweit oder die Opfer des Klimawandels etc. abziehen – es geht hier einfach um die Frage: Leiste ich auch einen Beitrag dazu, dass sich Menschen mit diesem Hintergrund in der Kirche nicht beheimatet, ausgegrenzt, diskriminiert, nicht sicher und nicht sichtbar fühlen? (z.B. dadurch, dass ich sie zu Objekten meiner “Hilfe” mache).

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  5. Danke! Quinton hat mir und all den Menschen, die mit mir die @Zuhausekirche mit Leben füllen, sehr aus dem Herzen gesprochen, sehr! Wir sind Bürgergeldempfänger, POC, queer, alleinerziehend, psychisch krank, einsam, geflüchtet, von Sucht und häuslicher Gewalt umgeben, ohne Abitur und nicht selten sogar ohne Schulabschluss. Genau deshalb braucht es eine Kirche, in der solche wie wir uns zuhause fühlen können. Für solche wie uns hat er gesprochen.

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