„Gottes Traum von Kirche. Vier Orientierungspunkte der ersten Gemeinde, von denen wir lernen können.“

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Wir befinden uns als Kirchen und Gemeinden in Deutschland in keiner einfachen Situation. Seit Jahren beherrschen Themen wie Kirchenaustritte oder Missbrauchskandale das öffentliche Bild von Kirche und durch Corona-Pandemie sind viele Gemeinden innerlich ausgelaugt und müde und es fehlt an Mut und Visionen. In dieser herausfordernden Zeit habe ich mich mit einigen anderen neu mit der ersten Gemeinde in der Apostelgeschichte beschäftigt, nicht um das Geschehene ist zu kopieren, sondern mit der Frage: Was können wir für unsere Situation heute lernen? Dabei sind uns vier Orientierungspunkte wichtig geworden, die wir gerade bei uns in der Gemeinde (UND Marburg) versuchen anzuwenden. Die erste Beobachtung dabei ist eine Vorbemerkung:

Das Neue beginnt mit dem Wirken des Geistes Gottes

Die Jünger Jesu kamen aus einer ähnlich schwierigen Lage, wie wir sie momentan erlebt haben, nein, persönlich war es sogar viel schlimmer. Sie haben alles verloren woran sie geglaubt haben. Sie hatten alles hinter sich gelassen, sind diesem Jesus nachgefolgt, haben alles auf eine Karte gesetzt. Dann war Jesus (plötzlich) tot. Alles vorbei. Und dann die Begegnung mit dem Auferstandenen, die alles verändert hat und dann dreht sich das Bild und es geht Schlag auf Schlag: Himmelfahrt und dann Pfingsten, die Jünger bekommen den Auftrag die gute Nachricht von Jesus weiterzutragen. Aber nicht in ihrer Kraft, nicht in ihrem Auftrag, sondern: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde. (Apg 1,8) Damit hat alles begonnen: Mit der Kraft des Heiligen Geistes und dem Gehorsam der Jünger, Zeugen Jesu zu sein. Geist in der Trauer. Geist statt Trauer. Der Geist Gottes  bewegte die Jünger. Und der Geist Gottes wirkte Mächte und an Pfingsten entstand die erste Gemeinde. Es geht um den Traum Gottes, nicht in erster Linie um meinen oder auch deinen Traum. Keine Frage, wir dürfen träumen, aber in Demut diesen Traum mit Gottes Traum abgleichen. Denn Gemeinde ist Gottes Experimentierraum hier auf Erden.In der Gemeinde wird Himmel geübt, aber auch die Zerrissenheit zwischen Scheitern und Auferstehungskraft. Interessant ist dabei die Bezeichnung „Gemeinde“ (ekklesia), womit die Versammlung der Christ:innen bezeichnet wird. Dieses Wort bezeichnete damals die Vollversammlung der wahlberechtigten und freien Bürger einer Stadt (polis). Dort wurden die politischen Entscheidungen getroffen und das soziale Miteinander innerhalb der Stadt besprochen. Ausgehend von diesem Verständnis komme ich nun zu vier konkreten Orientierungspunkten um Gottes Traum von Gemeinde in der Apostelgeschichte.

Orientierungspunkt 1: Häuser: Apg 2,46: Sie trafen sich täglich in ihren Häusern, um miteinander zu essen und das Mahl des Herrn zu feiern, und ihre Zusammenkünfte waren von überschwänglicher Freude und aufrichtiger Herzlichkeit geprägt.

Was wir hier lesen war nicht nur in der ersten Gemeinde so, sondern war eine Grundorientierung in allen Gemeinden, die Paulus und andere im ersten Jahrhundert gegründet haben: Die Gläubigen trafen sich regelmäßig in verschiedenen Häusern, um Glauben und Leben miteinander ganz praktisch zu teilen (Apg 2,46; Röm 16,5; 1Kor 16,19; Kol 4,15; Phlm 2). Gemeinschaft ist dabei die Grundlage von Gemeinde und es wird miteinander geteilt und geglaubt. Und zwar ganz unterschiedlich und in großer Freiheit. Gemeinde ist dabei ein Ort des Wohlfühlens und des Zuhause sein. Hier darf gelacht, gegessen, gebetet, gestritten und auch geweint werden. Die Häuser stehen für Kleingruppen, für Interessengruppen, dass Menschen gesehen und nicht übersehen werden, Leben und Glauben teilen können. Häuser werden so zum geistlichen Rückgrat der Gemeinde.

Orientierungspunkt 2: Tempel als öffentliche Wohnung Gottes

Apg 3-5: „Und als die Apostel in die so genannte Salomohalle gingen, strömte das ganze Volk in heller Aufregung dort zusammen.“

Im Alten Testament war der Tempel der Ort, an dem Gott wohnt. Gottes Gegenwart war im Allerheiligsten zu finden – ein besonderer Ort, zu dem nur ganz besondere Personen zu ganz besonderen Zeiten Zugang hatten. Zuerst gab es die Stiftshütte, dann ein festes Gebäude. Im Neuen Testament ermöglicht Jesus den Zutritt zur Gegenwart Gottes. Der Vorhang zum Allerheiligsten zerriss an Karfreitag. Jesus sagt selbst, dass er den Tempel abreißen und wiederaufbauen will. Der Tempel ist ein Hinweisort auf eine andere Dimension. Ein Erlebnisort – an dem wir uns bewusst darauf einlassen. Ein Hoffnungsort, an dem etwas von der Größe Gottes erlebbar wird, der Kreativität, der Herzlichkeit und der Veränderungskraft. Sie trafen sich alle gemeinsam im Tempel, um öffentlich Gottesdienst zu feiern. Interessant ist, dass sie den Gottesdienst in der „Halle Salomos“ feierten (Apg 3,11; 5,12). Das ist kein Zufall, denn dies war der Raum im Tempel, zu dem auch Frauen und Heiden Zutritt hatten. In Christus vereint, wie Paulus es später in Gal 3,28 sagt: Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen, zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein neuer Mensch geworden. Alle kommen zusammen in der neuen Gemeinschaft Gottes, alte Grenzen werden überschritten, die großen gesellschaftlichen Streitpunkte und Diskriminierungen spielen in der Gemeinde keine Rolle mehr.  Die erste Gemeinde verstand sich als die Bevollmächtigte Gottes auf Erden, als Christus selbst. Im Tempel waren die Gottesdienste offen, waren das Schaufenster in die Stadt und jede und jeder war willkommen.

Orientierungspunkt 3: Output: Sie taten, was sie sagten (Apg 3,1ff).

Die erste Gemeinde drehte sich nicht um sich selbst, sondern war für die Menschen vor Ort da. Sie sah ihre Nöte, ihre Wünsche! Deshalb ist eine entscheidende Frage: Was brauchen die Menschen in meinem Viertel? In meiner Stadt? Wo können wir ihnen dienen? Aber noch mehr: Wo können wir MIT den Menschen arbeiten? Wo können wir kooperativ auf Augenhöhe Menschen begegnen und mit ihnen Gemeinde bauen? Und sie gingen dahin, wo Gott wirkte. Er ist der Handelnde. Dabei gehörten Wort und Tat untrennbar zusammen (Evangelisation und Diakonie), Menschen kamen durch öffentliche Predigten und durch die Versorgung der Ärmsten zur Gemeinde. Dies führte zu einem öffentlich authentischen Christsein, so dass die Gemeinde beim ganzen Volk ein hohes Ansehen genoss (Apg 2,47).

Orientierungspunkt 4: Input: „…und blieben unter der Lehre und im Gebet“

Apg 2,42: „Was das Leben der Christen prägte, waren die Lehre, in der die Apostel sie unterwiesen, ihr Zusammenhalt in gegenseitiger Liebe und Hilfsbereitschaft, das Mahl des Herrn und das Gebet.“

Gleichzeitig war die erste Gemeinde in Gottes Wort verwurzelt und im Gebet verbunden. Gott anzubeten stellt dabei eine zentrale Ausrichtung des Glaubens dar. Es zeigt die Haltung und die Beziehung zu Gott selbst und ist ein geistlicher Kompass unserer Arbeit. Es ist wichtig, dass bei allem die eigene Seele nicht zu Schaden kommt. Wie lebe und erlebe ich meine Beziehung zu Gott, zu mir selbst und zu anderen? Wo brauche ich Nahrung, Korrektur, Ermutigung oder Ermahnung? Dies kann in offenen Formaten und Begegnungen Raum haben (zum Beispiel: Predigt, Lobpreis, Abendmahl, Mentoring, Seelsorge, Bibel teilen etc.).

Bei allen vier Orientierungen sind zum Abschluss zwei Sachen wichtig:

  1. Wir sollten sie nicht gegeneinander ausspielen. Wir brauchen alle vier, nicht immer gleich zu jeder Zeit, aber sie geben uns auch ein kleines Analysetool, auf das wir gemeinsam schauen können: Wo stehen wir gerade als Gemeinde, wo sind unsere Schwerpunkte sind und wo müssen wir vielleicht nachjustieren.
  2. Es geht nicht um Perfektion, sondern um Gemeinschaft. Auch die erste Gemeinde war nicht so perfekt, wie auf den ersten Blick aussieht. E gab viele Fehler, Streit, Missgunst und Eifersucht (Vernachlässigung der griechischen Witwen oder auch Hananias und Saphira). Die Frage ist, wir damit umgehen – wie wir Dinge miteinander aufarbeiten, aufdecken, offenlegen und Versöhnung leben.

Gottes Traum leben. Also, lasst uns gemeinsam aufbrechen, ermutigen und barmherzig miteinander sein….

Gott zur Ehre.

Fragen zur praktischen Einübung in der eigenen Gemeinde:

  1. In welchen Orientierungspunkt siehst du gerade die Stärken der Gemeinde?
  2. In welchen Orientierungspunkt siehst du gerade die Schwächen?
  3. Wo muss deiner Meinung nach am meisten investieren/ausgeglichen werden?
  4. Wie siehst du die Gemeinde von ihrer Organisationsstruktur aufgestellt?

Das kann auch ganz praktisch „gespielt“ werden, jede Person bekommt ein paar Steine und kann diese dann zu dein einzelnen Fragen auf die Orientierungspunkt (oder dazwischen) im Koordinatenkreuz legen.

 

Der Text ist entstanden aus den ersten fünf Predigten des kirchlichen Startups UND Marburg und wurde auch im CVJM Bad Bentheim veröffentlicht.

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