“Hybride Kirche: Remix im Reich Gottes.”

Kultur & Glaube

 

Das vergangene Jahr war für viele Kirchen und Gemeinden ein lehrreiches Jahr und wir haben in den ersten drei Teilen unserer Serie “Die Verwandlung der Kirche” die Lehren der Veränderungsprozesse im Blick auf den digitalen Wandel aufgenommen, reflektiert und versucht für die Praxis auszuwerten. Im vierten Teil wollen wir das fortführen und einen Ausblick wagen: Wie können die vielen positiven digitalen Erfahrungen ein fester Bestandteil von Kirche werden? 

 

Hybridität – ein Begriff mit langer Geschichte und besonderer Aktualität, schon Ferdinand Porsche entwickelte 1902 den „Mixte-Hybridantrieb“, bei dem ein Verbrennungsmotor und einen Elektroakku den gemeinsamen Antrieb bildeten. Aber erst in den letzten Jahren hat sich der Hybridantrieb in Deutschland zusehends durchgesetzt. Und überhaupt: Hybrid ist eines der aktuellen Zauberworte und beschreibt das Zusammenkommen von zweierlei unterschiedlichen Systemen oder auch Technologien. Aber längt gehören hybride Systeme auch jenseits der Autobranche zu unserem Alltag, vor allem, wenn es um die Frage der gemeinsamen Nutzung von Analogen und Digitalen geht, ob das die Steuerung des Hörgerätes via Smartphone ist, die Kommunikation mit WhatsApp und Email oder die Navigation zum nächsten Reiseziel. Hybride Systeme sind ein fester Bestandteil unseres Alltags und wir können uns ein Leben ohne sie kaum mehr vorstellen. Zuletzt gab es im Bildungsbereich einen großen Schub an neuen hybriden Formaten und Methoden, die die Schulentwicklung der nächsten Jahre prägen wird.

Kirche in Umlernprozessen

Die Coronazeit hat durch den viel beschriebenen “Digitalisierungszwang” nun auch in der Kirche für nicht für möglich gehaltene Reformen gesorgt. Das ist gut und ich freue mich über viele digitale Gottesdienste und vielfältige Veranstaltungen, aber die entscheidende Herausforderung steht noch vor uns: Die Umlernprozesse in einer Zeit mit und nach Corona. Dies hat zuletzt die internationale und ökumenische Studie “Churches Online in Times of Corona” eindrucksvoll aufgezeigt, die der kirchlich-digitalen Verkündigungs- und Vermittlungspraxis in der ersten Welle der Pandemie im Jahr 2020 nachgegangen ist. Die Ergebnisse sind erstaunlich positiv, obwohl es für 95% aller Beteiligten die ersten digitalen Umsetzungen im kirchlichen Kontext war, sehen Zweidrittel diese Entwicklung positiv und erklären, dass sich ihre alltägliche Arbeit durch die Pandemie völlig verändert hat. Und natürlich sind viele Fragen offen und doch sprechen die Macher der Studie Ilona Nord und Thomas Schlag von der „postdigitale Reformation“ in der wir uns befinden, da sich der digitale Wandel durch alle kirchlichen Bereiche zieht. Diese Zeit wird eine Zeit des Neuen sein, denn es wäre fatal, zu denken, man könnte einfach so in die alten analogen Formate  zurückkehren und es wäre fahrlässig, ausschließlich in den neu erprobten digitalen Formaten zu denken. Nein, es braucht eine Neuschöpfung aus beiden, einen Remix des Besten aus beiden Wirklichkeiten. Dass es da noch viel zu lernen gibt, hat zuletzt Philipp Greifenstein in seinem Beitrag „5 Missverständnisse der Kirche im Netz“ eindrucksvoll dargestellt. Deshalb scheint es mir wichtig, dass wir analoge und digitale Angebote nicht gegeneinander ausspielen und auch die jeweiligen Vor- und Nachteile benennen und einordnen können, bevor wir über das Neue einer hybriden Kirche nachdenken. Grundsätzlich kann man drei Wirklichkeiten oder Realitäten unterscheiden.

  1. Die erste Realität (first reality: FR), die das analoge Leben außerhalb jeder digitalen Anbindung beschreibt.
  2. Die erweiterte Realität (augmented reality: AR), die die computergestützte Erweiterung der eigenen Realitätswahrnehmung beschreibt, die alle menschlichen Sinnesmodalitäten anspricht und häufig die visuelle Darstellung von Bildern, Videos, Chats etc. meint (von Sozialen Netzwerken bis zu Herzschrittmachern)
  3. Die virtuelle Realität (virtual reality: VR), die einen neuen computergenerierten, virtuellen Raum beschreibt, der sich in Echtzeit parallel zur analogen Welt entwickelt und somit eine ganz neue Erfahrungswelt eröffnet.

Wenn ich in diesem Betrag über digitale oder hybride Kirche spreche, dann geht es immer um die ersten beiden Realitäten, die dritte Realität wird zwar in Zukunft eine zentrale Rolle spielen, aber dafür fehlt uns momentan die Alltagstechnologie wie bspw. VR-Brillen fürs Smartphone. Es geht also vor allem um die Erweiterung des analogen Raums durch Augmented Reality in der alltäglichen Nutzung von Smartphones, Tablets, Computern, aber auch Head-Up-Displays in Autos, SmartHomes und in vielen Arbeitsfeldern wie Medizin, Industrie und im Handwerk. Wir sind also durch unseren Alltag geübt darin, Analoges und Digitales selbstverständlich zu nutzen und auch im Bereich digitaler Angebote von Gottesdiensten und anderen kirchlichen Veranstaltungen gab es in den letzten Monaten einen Lerneffekt und die Entdeckung, dass diese viele Vorteile haben und kirchliche Arbeit maßgeblich voranbringen können. Deshalb sollen zunächst beispielhaft jeweils sieben Vorteile analoger und digitaler Formate beschrieben werden:

Sieben Vorteile der analogen Angebote:

  1. Der analoge Raum ist ein geschützter Raum, mit einer überschaubaren Gruppe an Menschen, wo z. B. Fehler passieren und vergehen können, während sie bei digitalen Angeboten eine größere Reichweite und manchmal einen „Ewigkeitscharakter“ haben.
  2. Vertrautheit, Nähe und Berührung sind vor allem analog möglich und für uns beziehungsorientierte Menschen unverzichtbar.
  3. Das Gemeinschaftsgefühl und ganzheitliche Element des gemeinsamen Singens ist durch kaum etwas zu ersetzen.
  4. Austausch, Anteilnahme und Gemeinschaft können leichter und direkter erlebt werden, miteinander feiern, essen und singen spielen in der Nachfolge eine zentrale Rolle.
  5. Gruppendynamiken und (geistliche) Resonanzräume entstehen analog besser und nachhaltiger.
  6. Diakonisches Handeln im Nahbereich, Hilfe für Menschen in Not, die Reaktion auf Krankheit, Einsamkeit und Notlagen kann analog besser und zielgerichteter geschehen. Aber auch die analoge Arbeit mit Kindern, Teenagern und Jugendlichen ist in dieser Entwicklungsphase unverzichtbar, vor allem wenn es um beziehungsorientierte Arbeit und das Wahrnehmen von Gefühlen und Stimmungen geht.
  7. Es gibt eine Unabhängigkeit von Netzbandbreiten, technischen Ressourcen und Begabungen. Digitale Teilhabe ist für manche Menschen so ein Ausschlusskriterium.

Ergo: Analoge Formate sind unverzichtbar.  

Sieben Vorteile der digitalen Angebote:

  1. Raum/Niederschwelligkeit: Das weltweite Netz bietet freien Zugang, weder ein Gemeindehaus noch eine Kirche müssen betreten werden. Der Zugang ist universell möglich, zeitunabhängig und selbstgestaltet.
  2. Gemeinschaft: ist selbstgewählt und orientiert sich „am Gleichen“ oder am als „ähnlich“ Empfundenen („Freunde“), konfessionelle Grenzüberschreitungen sind alltäglich, neue Gemeinschaften entstehen.
  3. Teilnahme/ Interaktion: ist anonymisiert und unverbindlich möglich und nicht hierarchisch geprägt (Kompetenzen, Rollen), es ist leichter, sich zu beteiligen.
  4. Kommunikation: Religiöse Kommunikation ist persönlich, fragend, schwellenlos, scheinbar enttabuisiert und situativ möglich.
  5. Reichweite/ Vernetzung: der eigene Ort wird verlassen und erweitert, Gott ist nicht an einen Ort (Topos) gebunden, neue Vernetzungen entstehen.
  6. Ehrenamt: für die neue Generation und neue Formen von Ehrenamt sind die Bedingungen geradezu optimal, bisherige Gruppen wie technisch begabte Menschen rutschen in den Fokus, die Jüngeren lehren die Älteren.
  7. Digitale Formate wie YouTube-Gottesdienste haben eine größere Nachhaltigkeit, weil sie nicht auf einen Livetermin festgelegt sind.

Ergo: Digitale Formate sind unverzichtbar.

Das Entscheidende an hybrider Kirche ist nun, dass aus einem „Entweder-Oder“ eine „Sowohl-als-Auch“-Zuordnung entsteht, die auch eine Gemengelage von Ambivalenzen, Brüchen und Komplexitäten vereint. Hybride Kirche heißt, dass aus den vielfältigen Ausprägungen und Veranstaltungen etwas Eigenständiges und Neues entsteht, es ist kein Zusammenpacken von analogen und digitalen Veranstaltungen, sondern aus beidem entsteht die hybride Kirche.

 

Remix: Siehe, Neues ist geworden (2. Kor 5, 17)

Der Schweizer Professor für Digitale Kultur und Theorien der Vernetzung, Felix Stalder, nennt diesen Vorgang ‚Referentialität im digitalen Raum‘ und beschreibt damit, wie bereits Bestehendes mit Neuem verbunden und zu einer Synthese wird. Es entsteht ein Remix: Ein Zusammenführen, Verändern und Hinzufügen von unterschiedlichen Kommunikationsformen und Veranstaltungen, sodass ständig etwas Neues entsteht. Bestehendes wird mit Neuem verbunden – nicht als Brücke, sondern als Synthese. Zusammenführen, Verändern und Hinzufügen ist somit ein ständiger Prozess mit fließenden Übergängen. Das Internet ist dabei keine neutrale Kommunikation, sondern ein Raum, in dem Identitätsbildung geschieht bzw. gestaltet wird. Neue Freiheit und neue Versuchungen gehen somit Hand in Hand und fordern uns heraus, die Grenzen des Eigenen zu prüfen, um sich nicht in der Grenzenlosigkeit der virtuellen Welt zu verlieren. Referentialität beschreibt also in unserem Fall, dass analoge Formen von Kirche mit digitalen zusammenkommen und sich wechselseitig beeinflussen, so dass daraus etwas Neues entsteht, die hybride Kirche. Diese hybride Kirche kann also ganz unterschiedliche Formen und Formate haben, die versuchen, das Beste aus beiden Realitäten miteinander zu verbinden. Franziska Jäger beschreibt dies im Sinnstiftermag folgendermaßen: „Digitale Kirche“ ist zu unterscheiden von einer digitalisierten Kirche. Eine „digitale Kirche“ übernimmt nicht einfach die Inhalte der „analogen Kirche“ in eine digitale Form und macht diese damit online global zugänglich – dies wäre unter einer digitalisierten Kirche zu verstehen. Eine „digitale Kirche“ lebt Digitalität, also ein hybrides Geflecht von analogem und digitalem Lebensraum – eine permanente Neugestaltung der Wirklichkeit durch das Zusammenfügen von technischen und kulturellen Elementen.“

 

Selbstkonstruktionen in hybriden Räumen

Bevor ich zu den praktischen Umsetzungen und Möglichkeiten komme, möchte ich einen kurzen Exkurs zu einer aus meiner Sicht zentralen inhaltlichen Thematik machen, nämlich der Frage, wie sich der Mensch in diesen hybriden Entwicklungen verhält und entwickelt. Denn es steht außer Frage, dass es im Glauben und somit auch in allen kirchlichen Veranstaltungen um die subjektive Beziehung des Menschen zu Gott, sich selbst und dem Nächsten geht. Der Soziologe Andreas Reckwitz ist der Entwicklung des „hybriden Subjekts“ in der (Spät)Moderne ausführlich nachgegangen und hat aufgezeigt, dass sich die Menschen in den großen gesellschaftlichen Transformationen (Ökonomie, Liberalismus etc.) elementar verändern und dies führt, so Reckwitz, nun im Bereich der Technologien und insbesondere in der Digitalisierung zu großen Herausforderungen in der menschlichen Identitätsentwicklung. Weil kulturelle Praktiken unser Verhalten und unsere Werte und somit unsere Identität prägen, spielen gerade die digitalen Umbrüche im Alltäglichen eine zentrale Rolle. So geben uns Social-Media-Kanäle die Möglichkeiten zur Darstellung von Ideen, Bildern, Emotionen, Gedanken, Erlebnissen, Plänen, Utopien, verschiedenen Facetten des eigenen Ichs, wie auch der Wahrnehmung Anderer mit all dem, was ihnen wichtig ist. Es wird freier Austausch von Ideen erlebbar, der wertschätzend, anregend, weiterführend, gemeinschaftsbildend, kritisch und solidarisierend passiert und sich für demokratische Ziele innerhalb der Gesellschaft einsetzt. Aber  Social-Media-Kanäle sind auch Orte eines ständigen Kampfes um Anerkennung und der Angst, übersehen zu werden und im Vergleich mit anderen und deren Schönheit, Intelligenz, Originalität nicht mithalten zu können, nicht begehrt zu werden, exkludiert zu sein. Es findet viel Selbstinszenierung statt, oft wird verglichen und bewertet. Das bedeutet, dass Social-Media-Kanäle soziale Praktiken formen, die von Freiheit, Selbstentfaltung, Gemeinschaftsbildung, aber auch von Zwang, Verunsicherung und De-Solidarisierung geprägt sind. Die Nutzung digitaler Medien hat auf mindestens drei verschiedenen Ebenen Auswirkungen auf Identitätsbildungsprozesse:

  1. Digitale Medien haben eine soziale Funktion und ermöglichen neue Beziehungsformen wie das adressatenorientierte oder öffentliche Teilen von Informationen, Bildern, Filmen, Symbolen oder Texten, das Erhalten und Beobachten solcher Daten, das Kennenlernen von Menschen jenseits der bisherigen Begegnungsräume, das Teilhaben an Kommunikationsprozessen in Peergroups, Organisationen oder weiten Öffentlichkeiten, das Verabreden, Aushandeln oder Spielen mit Menschen, die bislang bekannt oder unbekannt waren, die man als Nachbarn kennt oder auf der anderen Seite des Globus leben u.v.a.m.
  2. Zweitens fokussieren, filtern und prägen digitale Medien Wahrnehmungen, indem sie aus dem unerschöpflichen „Datenmeer“ nach nutzerabhängigen oder auch nach nicht einsehbaren algorithmusgesteuerten Kriterien bestimmte Nachrichten, Meinungen, Bilder zur Darstellung bringen.
  3. Drittens formen sie soziale Praktiken der Selbstpräsentation, des Rollenverhaltens, des Feedbacks, der Vernetzung, der Inklusion und der Exklusion anderer u.v.a.m. Jede digitale Kommunikation formt Identität und Beziehungsqualität zugleich, sie ist somit immer Diskursraum und „Identitätsmaschine“.

Da Kommunikation mittels digitaler Vernetzung nicht mehr auf bestimmte räumliche oder soziale Situationen begrenzt ist, sondern dank mobiler Endgeräte immer und überall stattfindet, steht sie niemals still.

Die Frage, die sich für hybride kirchliche Veranstaltungen wie zum Beispiel Gottesdienste deshalb zwangsläufig stellt, ist, wie sich die Kommunikation und der/die Kommunikator:in des Evangeliums in diesen Entwicklungen verändert. Wo ergeben sich neue Chancen und Möglichkeiten? Aber wo gibt es auch Grenzen und Verformungen? Wo wird der hybride Gottesdienst zu einer Selbstinszenierung, die im gleich Bewertungsmodus besucht wird, wie alle anderen digitalen Veranstaltungen? Und wo haben das Evangelium und die Kirche den Auftrag, manchen digitalen Entwicklungen entgegenzuwirken? Wo gilt es, ethische Fragen zu stellen? Und wie kann das konkret aussehen? Hier wird schon deutlich, dass noch viele Fragen offen sind und wir dringend eine digitale und hybride Ekklesiologie brauchen, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzt. Gute Ansätze gibt es in den Veranstaltungen des FEST der Universität Heidelberg, die zentrale Themen andiskutieren.

Eine hilfreiche Unterscheidung von verschiedenen digitalen Formaten macht die US-Kommunikationswissenschaftlerin und Expertin für digitale Religion Heidi A. Campbell, die  uns für diesen Beitrag eine Richtung und Hilfestellung sein soll.

 

 

Die hybride Kirche – Auf der Suche nach einem Kulturwandel

Ein digital kommuniziertes Angebot macht noch keine digitale Kirche und ein online übertragener Gottesdienst noch keine hybride Kirche. Deshalb lohnt es sich, etwas differenzierter die verschiedenen Angebote, Formate und Möglichkeiten anzuschauen. Heidi A. Campbell unterscheidet hilfreich zwischen drei unterschiedlichen Formaten: a) „transferring“ (Liveübertragung eines analogen Gottesdienstes), b) „translation“ (der Versuch, analoge Gottesdienste an eine digitale Formen anzupassen, zum Beispiel durch zusätzliche interaktive Methoden wie Mentimeter, Padlet etc.) und c) „transforming“ (Entwicklung ganz neuer Formen für digitale oder hybride Formate, die auf die Bedürfnisse der jeweiligen Teilnehmenden explizit eingehen). Ich möchte zwei Begriffe von hybrider Kirche unterscheiden, zum einen den klassische Veranstaltungsbegriff, in dem hybride Kirche in den angesprochenen Formaten sich aus analogen und digitalen Teilformaten, Teilnehmenden und Haltungen neu entwickelt und zum anderen den Überbegriff für verschiedene Veranstaltungen einer Gemeinde, eines Kirchenverbundes oder eines Kirchenkreises.

Beispiel 1: „hybride Kirche als Veranstaltung“: Hybride Kirche beginnt also mit der Liveübertragung („transferring“) eines analogen Gottesdienstes, so dass Menschen die Chance einer analogen und digitalen Beteiligung haben. Aber dies ist eben nur der Anfang, es gilt jetzt die beschrieben Stärken der beiden Welten zu vereinen und  das braucht Arbeit, Phantasie und Ausdauer. Denn für die digitalen Sehgewohnheiten müssen einzelne Teile des Gottesdienstes gekürzt und schnellere Interaktionen ermöglicht werden. Es braucht eine andere Form der Moderation und eine Sprache, die voraussetzungsfrei durch den Gottesdienst führt, Rituale und Liturgien erklärt und die Teilnehmenden so mitnimmt in den Ablauf und Inhalt eines Gottesdienstes.

Beispiel 2: „hybrides transferring“: Es gibt eine eigene Moderation für die digitalen Zuhörenden, so dass sie direkt angesprochen werden und in die lokalen Gepflogenheiten mit hineingenommen werden. Außerdem besteht die Möglichkeit zur direkten Kommunikation durch Kommentare und es sind verschiedene Beteiligungsformate vorhanden, die es möglich machen, auf das Gehörte zu antworten und darauf zu reagieren. Ein typisches Format ist das Streamen des Gottesdienstes (inkl. verschiedener interaktiver Elemente) im Kombination mit einem Zoom-Gemeinschaftsteil (digitales Kirchencafé) nach dem Gottesdienst, in dem Themen des Gottesdienstes aufgenommen werden und gemeinsam bei einem Kaffee besprochen werden.

Beispiel 3: „hybrides transforming“: Eine Veranstaltung, zum Beispiel ein Gottesdienst wird so konzipiert, dass es verschiedene Schwerpunkte für die jeweiligen Teilnehmenden gibt und diese auch in einen wechselseitigen Kontakt kommen können. So werden bspw. Antworten der digitalen Teilnehmenden über Leinwände in den analogen Gottesdienst übertragen, Interviews gemacht oder von verschiedenen Orten Gottesdienstteile eingespielt. Der gesamte Gottesdienst wird nach einem eigenen Regieplan durchgeplant und bei jedem Punkt wird bedacht, was es für die analogen und digitalen Teilnehmenden bedeutet, wie sie einbezogen werden können. Dies ist vor allem zeitlich und technisch aufwendig und kann sicher nicht von jeder Gemeinde durchgeführt werden, aber das muss auch gar nicht sein, denn ein Umlernprozess wird sein, dass nicht jede Gemeinde in Zukunft alles anbieten muss. Was uns zum nächsten Punkt bringt:

 

Hybride Kirche als „dritte Orte“  kirchlicher Arbeit

Es geht bei hybrider Kirche im Kern nicht um die richtige Nutzung von digitalen oder analogen Methoden, sondern um einen Kulturwandel hin zu einem neuen Weg. So wie es „dritte Orte“ jenseits von Personal- und Parochalgemeinden gibt, so wird die hybride Orte eine weitere wichtige Ergänzung im Grundverständnis von Kirche und kirchlicher Orte. Hier geht es darum, das gesamte Angebot einer Gemeinde oder mehrerer Gemeinden in seiner Gesamtheit zu betrachten, denn hybride Kirche meint mehr als ein Gottesdienst und sieht die gesamte Kirche mit all ihren Standbeinen, wie Seelsorge, Diakonie, altersbezogene Gruppen wie Kinder-, Jugend- oder Seniorenarbeit oder Kleingruppenarbeit und vieles mehr. Aber in Zeiten des Traditionsabbruchs und der Erneuerung von Kirchen und Gemeinden gilt es zu fragen, ob eine einzelne Gemeinde wirklich alles abbilden muss, oder ob mehrere Kirchen und Gemeinden (Parochien, Kooperationen, Kirchenkreise etc.) nicht verschiedene Schwerpunkte der inhaltlichen Arbeit abbilden können. Und dies gilt um so mehr für die kommenden Fragen einer hybriden Kirche, denn die Anforderungen und Qualitätserwartungen werden steigen und nicht jede einzelne Gemeinde kann und muss diese erfüllen.

 

Kirche: Ausdruck des gegenwärtigen Christus selbst 

Zunächst ist Kirche ein Teil des Reiches Gottes hier auf Erden, in dem Gottes Wirken sichtbar wird. Oder wie Bonhoeffer es sagt: „Die Kirche ist der gegenwärtige Christus selbst. Damit gewinnen wir einen sehr vergessenen Gedanken über die Kirche zurück. Wir sind gewohnt, von der Kirche als von einer Institution zu denken. Es soll aber von der Kirche gedacht werden als von einer leibhaftigen Person, freilich einer ganz einzigartigen Person. Die Kirche ist Einer. Alle Getauften sind ‚allzumal Einer in Christus‘ (Gal 3,28). Die Kirche ist Mensch.“  Dieser gegenwärtige Christus zeigt sein Gesicht durch die Geschichte in der jeweiligen Kultur und Sozialgestalt.  So ist durch die Kirchengeschichte ein vielfältiges Bild entstanden, das Christus in seiner ganzen Vielfalt repräsentiert, aber auch manche Verzerrungen darstellt. Zum Wesen der Kirche gehören nach dem biblischen Zeugnis die Sammlung der Gläubigen und zeigt sich in Zeugnis (martyria, Apg. 1,8; 2,1ff), Dienst (diakonia, Apg. 3,1ff), Gemeinschaft (koinonia, Apg. 2,42) und Gottesdienst (leiturgia, Apg. 2-5). Mit diesen Merkmalen bildet Kirche das „soziales Heilsverständnis“ Gottes ab. Dazu gab es von Anfang an verschiedene Sozialformen der Gemeinschaft (Haus, Tempel, Synagoge) aus der sich durch die Jahrhunderte verschiedene Kirchen als verfasste Institutionen entwickelten.  Jetzt sind wir es gewohnt, dass eine Gemeinde versucht, dies alles abzubilden, aber die Zukunft wird einen anderen Weg gehen, denn die Konfessionen lösen sich zunehmend auf und die Frage wird sein: Wie können verschiedenen Gemeinden in einem Stadtteil (Dorf etc.) gemeinsam ihre „Persönlichkeit“ in einem „Gemeindeteam“ einbringen? Wo können digitale, hybride und analoge Angebote stattfinden? Welche Gemeindepersönlichkeit hat besondere Begabungen oder Erfahrungen und bildet dies besonders gut ab? Wird sie von den anderen dabei unterstützt? Und ja, mir ist klar, dass dies ein weiter Weg ist, der bisherige Konkurrenzgedanken überwinden muss, aber ich halte ihn für notwendig. Einige erste Fragen können dabei vielleicht helfen:

  • Wo kommt die Gemeinde her – ihre Geschichte
  • Wo ist ihr Umfeld?
  • Was ist ihre besondere Begabung und Leidenschaft?
  • Wie zeigt sich ihre Persönlichkeit?
  • Wozu ist sie berufen?

Eine der ausführlichsten Reflexionen zum Thema hybride Kirche stammt meines Wissens von Frank Fornaçon, Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Kassel-West. Er hat für das Magazin Cursor seine Erfahrungen und Erwartungen an eine Hybride Kirche zusammengefasst, die ich sehr hilfreich finde und hier zum Abschluss auszugsweise zitieren möchte:

  • Hybride Kirche hat einen wachsenden Einzugsraum: Die Hybride Kirche bezieht Menschen mit ein, die nicht am präsentischen Gemeindeleben teilnehmen können, weil sie räumlich zu weit weg leben, beruflich andere Lebensrhythmen haben, physische oder psychische Einschränkungen haben. Im Gegensatz zur Hybriden Kirche sind von präsentischen Veranstaltungen viele ausgeschlossen, die nun digital verbunden sein können.
  • Hybride Kirche kann ihre Versammlungsorte beliebig erweitern. Die präsentischen Aktivitäten an verschiedenen Orten können miteinander vernetzt werden. Damit können sich an weiteren Standorten, oft auch weit entfernt, Teilnehmende vor Ort miteinander vernetzen und Angebote online nutzen. Das eröffnet die Chance, neue Gemeindestandorte zu etablieren oder Gemeinden aufrecht zu erhalten, die sonst geschlossen werden müssten.
  • Hybride Kirche schafft Gleichberechtigung der Nahen und der Fernen: Hybride Gemeindearbeit bezieht alle Seiten mit ein. Während im klassischen Modell entweder nur die präsente Gemeinde als eigentliche oder vollwertige Gemeinde gesehen wurde, wird in der Hybriden Gemeindearbeit das Kommunikationsgefälle aufgehoben. Auch die Menschen, die nicht präsent sein können, haben die Gelegenheit, aktiv zum Gemeindeleben beizutragen.
  • Hybride Kirche definiert ihre Reichweite nicht mehr räumlich. Ursprünglich begrenzten die Entfernung und die zur Verfügung stehenden Verkehrsmittel den Radius der Gemeinde. Die entscheidende Frage war, ob man in einer überschaubaren Zeit die Strecke von der Wohnung zur Kirche zurücklegen konnte.
  • Hybride Kirche überwindet Grenzen, richtet aber auch neue auf. Während sich Menschen mit dem notwendigen technischen Knowhow auch über die räumliche Distanz einbringen können, sind technisch nicht begabte oder nicht mit der entsprechenden Hardware ausgestattete Menschen in ihrer Kommunikation begrenzt oder ausgeschlossen. Das Versprechen völliger Gleichheit ist illusorisch, wenn nicht die potentiellen Nutzenden geschult und mit der nötigen technischen Hardware ausgestattet werden.
  • Hybride Kirche wird immer auch missionarische Gemeinde sein, die ihre Grenzen aktiv überschreitet. Sie in den Weiten des Internets zu finden, ist eine eigenständige Aufgabe der Kirche. Dabei spielt die aktive Mitwirkung an „Sozialen Medien“ eine wichtige Rolle.
  • Hybride Kirche steht im Wettbewerb: Sie kann aktiv Mitgliedergewinnung auf Distanz betreiben und so Gemeindegründung im virtuellen Raum betreiben. Sie steht dabei mit zahlreichen anderen Anbietern im Wettbewerb. Neben klassischen Möglichkeiten, Zugehörigkeit auszudrücken, wie durch Überweisung einer Spende, werden die kommunikativen Möglichkeiten in ihrer Qualität über den Unterschied entscheiden.
  • Hybride Kirche will mehr als Zuschauerkirche sein. Die reine Zuschauerrolle im Hybriden Gemeindeleben ist nicht mit der reinen Gottesdienstbesucherrolle zu vergleichen. Der Gottesdienstbesucher im präsentischen Gemeindeleben trägt allein durch seine Anwesenheit im Raum zum Gemeinschaftserlebnis aller anderen teil. Darum muss in einer Hybriden Gemeindeform versucht werden, dialogisch zu arbeiten.
  • Hybride Kirche und die ethnische Diversität: Die Zugehörigkeit zu verschiedenen Ethnien lässt sich im präsentischen Gemeindeleben auch über Sprachgrenzen hinweg überwinden, indem Gesten, Berührungen, gemeinsame Mahlzeiten die Verständigungsprobleme mindern. In der digitalen Welt ist das ungleich schwieriger. Hybride Gemeinden neigen möglicherweise dazu, eine sprachliche und kulturelle Homogenität vorauszusetzen. Eine der Voraussetzungen einer Grenzen überwindenden Hybriden Kirche ist die Verwendung einfacher Sprache.
  • Hybride Kirche verlangt nach einer abgestuften Öffentlichkeit: Hybride Gemeindearbeit findet in geschlossenen, halböffentlichen und öffentlichen Kommunikationsräumen statt. Während z.B. eine Zoom-Konferenz mit angemeldeten Teilnehmenden nur eine begrenzte Zielgruppe zusammenbringt, ist z.B. eine Telegram-Gruppe entweder ganz öffentlich oder kann von den Teilnehmenden leicht durch Weiterleiten einer Nachricht veröffentlicht werden. Meldungen auf sozialen Netzwerken sind in der Regel völlig öffentlich. Gleiches gilt für die Homepage der Gemeinde.
  • Hybride Kirche lässt die Bedeutung von Hierarchien geringer werden: Die zentrale Rolle der Leitung verändert sich. Während Pastorinnen, Pastoren und leitende Mitarbeitende im präsentischen Gemeindeleben durch ihre Anwesenheit ein Machtzentrum darstellten, ist die digitale Kommunikation innerhalb der Gemeinde nur bedingt kontrollierbar. Ausnahmen sind die Administrationsrechte in Kommunikationsräumen, die an Stelle des Hausrechts mit Schlüsselgewalt treten und die inhaltlichen Beiträge der Nutzenden beschränken oder kontrollieren können.

Wir haben eine Zeit des Ausprobierens vor uns und brauchen hybride Erprobungsräume und gegenseitige Unterstützung. Hybride Erfahrungen müssen gesammelt, analysiert, evaluiert und dann systematisiert werden.  Nicht alle Kirchen müssen alles anbieten, sondern auch hier gilt, klug werden und miteinander kooperieren. Es ist viel in Bewegung, denn siehe Neues ist geworden – mitten unter uns.

 

Ergänzungen, Kritik und Praxisbeispiele sind herzlich willkommen!

 

Weitere hilfreiche und praktische Links:

Hybride Kirche lernen

Gründerpodcast zur hybriden Kirche: Interview von mir

Wird „hybrid“ das neue normal? 

 

 

Die Serie: “Die Verwandlung der Kirche”:

Teil 1: Nichts wird wieder wie es war und genau darin liegt die Chance.

Teil 2: Wie kann Kirche dem Vergemeinschaftungskomplex entkommen?

Teil 3: Zwischen Euphorie und Ermüdung

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