Frieden stiften in einer Welt voller Konflikte. Über einen unmöglichen und unmissverständlichen Auftrag Gottes. Meine Gedanken zur Jahreslosung 2019: „Suche Frieden und jage ihm nach“.

Theologie


 

Frieden inmitten von Konflikten

Kaum in einer Zeit war die Sehnsucht nach einem Friedensstifter größer als heute. Zwar blicken wir in Europa auf eine 70-jährige Friedenszeit zurück, doch haben Terror und Globalisierung uns längst eingeholt. Denn folgt man dem Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK), gibt es momentan 20 Kriege und 385 kriegerische Konflikte auf dieser Welt. Die Folgen sind Mord, Hunger, Terror, Vertreibung und die größten Flüchtlingsströme seit Jahrzehnten. Und in genau dieser Zeit feiern wir den Friedenstifter: „Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen“(Lk 1,46–55). Christus ist der im Alten Testament angekündigter Friedefürst, der bei seiner Geburt besungen wird: „Ehre sei Gott und Friede auf Erden“. Mit ihm beginnt das neue Friedensreich (Reich Gottes) mitten auf dieser Erde. Und wir? Wir sind seine „Friedensstifter“, mitten in der Gefallenheit dieser Welt (Mt 5). Der Friede Christi hat dabei immer zwei Ebenen im Blick: „Ehre sei Gott“ und „Friede auf Erden“ werden dabei im Kreuz zusammengehalten und stehen für Gerechtigkeit, Versöhnung und Wiederherstellung mit Gott (vertikal) sowie zwischen den Menschen und der ganzen Schöpfung (horizontal). Und nichts braucht die Welt gerade so sehr wie Frieden. Angefangen von den Beziehungen unseres Alltags bis hin zu den Kriegen in Syrien oder dem Südsudan. Aber was ist Frieden überhaupt? Wenn wir uns dem Wort in der Bibel nähern, stellen wir schnell fest, dass es zu den zentralsten und am häufigsten vorkommenden Begriffen gehört. Ich möchte zunächst fragen, was der Begriff im Alten Testament bedeutet, da das Verständnis von Frieden bei Jesus und auch Paulus nahtlos daran anschließt. Zum Schluss werde ich dann wieder auf unseren Auftrag eingehen, was es für uns als Christinnen und Christen und als Gemeinde bedeutet in einer Welt voller Konflikte Friedenstifter zu sein.

1. Der Schalom Gottes – Friede im Alten Testament

Im Alten Testament wird Frieden mit dem hebräischen Begriff „Schalom“ beschrieben. Dieser bedeutet aber nicht nur Frieden, sondern beschreibt eine Haltung der Versöhnung und Wiederherstellung von Gerechtigkeit auf allen Beziehungsebenen unseres Lebens: 1. Mensch – Gott (Gottesliebe), 2. Mensch – sich selbst (Selbstliebe), 3. Mensch – Nächster (Nächstenliebe) und 4. Mensch – Natur (Schöpfung). Wir erleben aber, dass diese Beziehungsebenen gestört und zerstört werden, sowohl im individuellen, als auch im sozialen Bereich. Die Bibel nennt diese Störung „Sünde“. Der göttliche Schalom zieht genau in diese gestörten Beziehungsebenen hinein und möchte sie wiederherstellen. Dabei zeigt sich der Schalom Gottes nicht als etwas Abstraktes oder gar Theoretisches, sondern ganz praktisch im Alltag der Menschen. So wurde im Alten Testament Schalom als Friedensgruß („Friede sei mit dir“) im Alltag verwendet. Der hebräische Ausdruck dafür („scha’al schalom“) bedeutet wörtlich übersetzt: „nach dem Frieden fragen, sich nach dem Frieden erkundigen“, was die Frage an das Gegenüber beinhaltet: „Schulde ich dir etwas?“ Die Antwort kann sein: „Ja, du schuldest mir etwas“. Der Frieden kann erst wiederhergestellt sein, wenn die Schuld ausgeräumt ist. Ein sehr schöner und sinniger Gruß. Schon im Alltag wurden die Israeliten daran erinnert, dass Gottes Gerechtigkeit in allen Beziehungen zu sehen und zu erleben ist – auch in denen, die unbequem und herausfordernd sind. Der Rabbiner Tom Kucera weist darauf hin, dass im Alten Testament die Wiederherstellung des Schaloms die zentrale und wichtigste Aufgabe für das Volk Israel war. Die Israeliten waren aufgefordert, zum Beispiel die Armen anderer Völker, die unter ihnen lebten, genauso wie die Armen Israels zu versorgen. Aus welchem Grund? „Mi-pene darke shalom“ – „Wegen des Schaloms“. Dank des versöhnten Miteinanders des Menschen mit sich selbst, mit den Mitmenschen, mit der Schöpfung und mit Gott, entwickelt sich der heilvolle Zustand des Schalom: ganzheitlicher und umfassender Friede und Wohlbefinden. Die menschliche Liebe und Gemeinschaft reflektiert das göttliche Wesen. Diesen Prozess galt es für Israel immer wieder zu leben und zu feiern, auch wenn es viele Rückschläge gab. Nicht die vollendete Einzelpersönlichkeit, sondern erst die menschliche Personengemeinschaft kann Ebenbild Gottes auf Erden genannt werden. Dabei schließt Schalom ebenfalls jene Vorstellung von Ganzheit und Unversehrtheit ein, die auch das deutsche Adjektiv „heil” meint und die sich auf die Gerechtigkeit Gottes bezieht. Bei all der Fülle dieser Bedeutungsfelder wird immer wieder deutlich, wie eng der Begriff Schalom mit den Begriffen Versöhnung und Gerechtigkeit zusammenhängt. In der Geschichte Gottes mit den Menschen spielen diese drei Begriffe eine zentrale Rolle, sowohl im Alten, als auch im Neuen Testament (Ps 85,11: „Frieden und Gerechtigkeit küssen sich“). Gerechtigkeit ist dabei im biblischen Sinne immer untrennbar mit Gott selbst verknüpft und beschreibt ihn (Ps 7,1: „Gottes Wesen ist Gerechtigkeit“). Gottes Gerechtigkeit deckt die Ungerechtigkeit dieser Welt auf, sowohl auf den persönlichen Beziehungsebenen zwischen uns Menschen, als auch in den politischen Auseinandersetzungen zwischen ganzen Völkern und Staaten. Dabei ist Schalom gleichermaßen ein geistlicher, wie auch politischer Begriff. Denn Schalom umfasst auch den Frieden zwischen den Völkern (Jesaja 2). Gott selbst wird dabei immer wieder als „Friedefürst“ und als Gott des Friedens (Jesaja 48) beschrieben, der mitten in dem Leid der Welt Frieden und Gerechtigkeit wiederherstellen möchte. Frieden heißt zuerst Unterbrechung, bleibt aber dabei nicht stehen. „Schalom“ bedeutet also Friede und ganzheitliches Heil in einem umfassenden Sinne und bezeichnet einen Zustand, in dem alle von Gott gewollten und geschaffenen Beziehungen wiederhergestellt werden. Gottes heilendes oder versöhnendes Handeln in der Geschichte bezeichnet den Prozess der Wiederherstellung der Beziehung des Volks zu seinem Gott. In diesem Kontext ist auch der Vers der Jahreslosung zu verstehen: „Suche Frieden und jage ihm nach“ aus Psalm 34,15. Ein Psalm Davids, der uns einen Imperativ vorgibt, der im Neuen Testament für die Gemeinde von Petrus (1 Petr 3,11) aufgenommen wird. David selbst war damals in einer Verfolgungssituation, als Königsanwärter auf der Flucht vor Saul. Und er weiß, dass der umfassende Schalom nur von Gott kommen kann und sucht und jagt genau diesem nach. Alles tun, um diesen Frieden zu empfangen. Das war auch das Motto der Propheten, die wussten, dass der Schalom als messianische Verheißung die Welt verändern wird. Und so kündigen sie das neue Friedensreich Gottes an. Dieses Friedensreich wird das vollenden, was auf Erden nicht gelungen ist und die Völker der Welt in Frieden vereinen (Jes 52; 54; Micha 4 +5; Sach 8). Dies führt uns ins Neue Testament, in dem Jesus direkt an die Bedeutung des beschriebenen Schalomverständnisses anknüpft und die Prophezeiungen im Alten Testament auf seine Person bezieht.

 

2. Christus, unser Friede – Frieden im Neues Testament:

Christus wird im Neuen Testament als der im AT angekündigte Friedefürst beschrieben (Jes 33,7). Schon zu Beginn, im Lobgesang der Maria, wird er machtvoll als dieser besungen und kurz darauf singen die Engel auf dem Feld zu seiner Geburt: „Ehre sei Gott und Friede auf Erden“ (Lk 1). Frieden (eirene) im Neuen Testament ist eng verbunden mit der Person und dem Werk Jesu Christi. Jesus selbst ist die Quelle des Friedens. Mit Christus hat das Friedensreich (Reich Gottes) auf dieser Welt begonnen. Es zeigt sich durch das Wirken des Heiligen Geistes in Gerechtigkeit und Frieden (Rö 14,17), aber es ist noch nicht vollendet auf dieser Welt. Doch wie sieht dieser Friede konkret aus? Was bedeutet es, wenn Paulus uns schreibt: „Christus ist unser Friede“, durch den die Welt versöhnt wird? (Eph 2,14) Was bedeutet es, dass wir ein „Evangelium des Friedens” in Jesus Christus zur Wiederherstellung der Gemeinschaft, zu Gott und uns Menschen haben (Eph 6,15)? Um dies zu beantworten, möchte ich Paulus im 2. Korintherbrief zitieren, der in Kapitel 5 genau auf diese Fragen eingeht: „Das alles ist Gottes Werk. Er hat uns durch Christus mit sich selbst versöhnt und hat uns den Dienst der Versöhnung übertragen. Ja, in ‚der Person von‘ Christus hat Gott die Welt mit sich versöhnt, sodass er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnet; und uns hat er die Aufgabe anvertraut, diese Versöhnungsbotschaft zu verkünden. Deshalb treten wir im Auftrag von Christus als seine Gesandten auf; Gott selbst ist es, der die Menschen durch uns ‚zur Umkehr‘ ruft. Wir bitten im Namen von Christus: Nehmt die Versöhnung an, die Gott euch anbietet!  Den, der ohne jede Sünde war, hat Gott für uns zur Sünde gemacht, damit wir durch die Verbindung mit ihm die Gerechtigkeit bekommen, mit der wir vor Gott bestehen können.“Paulus beschreibt hier Friede als Frucht der neuen Gerechtigkeit Gottes und der Versöhnung unserer Beziehungen. Aus der Versöhnung, die wir durch Christus erfahren, haben wir die Aufgabe, diese Versöhnung als Botschaft des Friedens in die Welt zu bringen. Wir werden so zu Friedensstifter*innen und bringen die Gabe des Friedens (Röm 15,33) zu den Menschen um uns herum. Dies ist eine dringende und wichtige Aufgabe für uns als Christinnen und Christen. So ist es nicht verwunderlich, dass der Hebräerbriefschreiber sagt es mit unserem Jahrespsalmisten: „Jagt dem Frieden nach“ (Hebräer 12,14). Wir sollen Friedensstifter (Mt 5) sein, also aktiv diesen Frieden leben. Dabei wirkt sich der Friede Christi sowohl auf den inneren Frieden, auf einen sozialen Frieden im Gemeinwesen, als auch auf einen politischen Frieden zwischen Staaten und Gemeinschaften aus. Der Friede Christi hat also zwei Ebenen im Blick: „Ehre sei Gott“ und „Friede auf Erden“ werden dabei im Kreuz zusammengehalten und stehen, wie bereits erwähnt, sowohl für Gerechtigkeit, Versöhnung und Wiederherstellung mit Gott (vertikal), als auch mit der ganzen Schöpfung (horizontal). Dabei hat Christus am Kreuz die macht der Gewalt überwunden und mit der Auferstehung gezeigt, dass mitten aus Dunkelheit und Tod neues Leben entstehen kann. Seine Auferstehungskraft ist die Hoffnung für Frieden mitten in unserem Leben. Der Theologe Hans-Joachim Eckstein hat dies einmal wunderbar auf den Punkt gebracht: „Eine Hoffnung, die unsere Gegenwart nicht tiefgreifend verändert, ist nicht wirklich aus der Zukunft bei uns angekommen. Denn da, wo Hoffnung einkehrt, verwandelt sich die Gegenwart.“(HansJoachim Eckstein) Diese Verwandlung der Gegenwart muss aber auch Unrecht identifizieren, benennen und anschließend neue konkrete Hoffnung geben. Hoffnung muss für die Menschen greifbar sein, muss aus ihrer Lebenswelt stammen. Denn Hoffnung bringt einen Perspektivwechsel, lässt einen dieselbe Situation aus einem neuen Blickwinkel. Dies gilt auch, wenn es nach menschlichem Ermessen kaum Hoffnung zu geben scheint. Denn der Friede Gottes ist höher als all unsere Vernunft und unsere Möglichkeiten. Und dieser Friede bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn (Phil 4,7). Das neue Friedensreich Gottes hat begonnen und Gott selbst ist es, der versprochen hat, dieses Reich einmal zu vollenden. Das gibt uns in diesem Kampf gegen Streit, Krieg und Ungerechtigkeit die Kraft durchzuhalten, weiterzumachen und im Vertrauen auf ihn immer wieder neu auch das Unmögliche zu wagen. Dabei wird sowohl bei Jesus, als auch bei Paulus deutlich, dass wir als Friedenstifter gewaltfrei agieren und sogar unsere Feinde lieben sollen (Mt 5, Röm 13). Aber wie können wir im Angesicht von Krieg, Gewalt und Terror nicht ohnmächtig verzagen?

 

3. Frieden in Mitten der Mächte und Gewalten dieser Welt

Diesem Frieden gilt es nachzujagen, mitten in unserem Alltag, in der sich die tiefe Gefallenheit dieser Welt und die Friedenshoffnung Gottes gleichermaßen widerspiegeln. Diese Friedenshoffnung muss für Menschen aber greifbar sein und sichtbar werden. Denn Hoffnung bringt einen Perspektivwechsel, lässt einen dieselbe Situation mit einer neuen Optik sehen. Der ehemalige Tübinger Theologieprofessor Eberhard Jüngel hat diese Spannung mal gut beschrieben, in dem er Die Gefallenheit mit Nietzsches deprimierenden Satz „Die Wüste wächst: weh dem, der der Wüste birgt“ beschreibt und dem dann das konkurrierende Evangelium des Friedens entgegenhält: „Der Friede wächst: wohl dem, der Frieden wirkt“ (Jüngel 2003:37). Der methodistische Theologieprofessor Walter Wink beschreibt in seinem Buch „Verwandlung der Mächte. Eine Theologie der Gewaltfreiheit“, dass sich Erlösung nicht darauf beschränkt, allein Individuen zu verändern, sondern auch Institutionen und Systeme. Das Böse ist nicht nur personal, sondern strukturell und spirituell. Es ist nicht nur das Ergebnis menschlichen Handelns, sondern die Konsequenz gewaltiger Systeme, über die kein Individuum die volle Kontrolle besitzt. Die persönliche Erlösung kann nicht stattfinden ohne die Erlösung der sozialen Strukturen. ‚Erlösung und Frieden’ bedeuten in Wirklichkeit: befreit werden aus der Unterdrückung durch die Mächte und Gewalten dieser Welt. Unter Mächte und Gewalten versteht Wink ökonomische, soziale, politische, rechtliche oder moralische Strukturen, Systeme und Institutionen (z.B. der ‚Geist‘ einer Institution), die eine Eigendynamik haben, die auf Menschen zurückwirken. Eine Ideologie bspw., die sich im Sinne einer Gesamtheit von Glaubenssätzen institutionell sowie in Praktiken verkörpern und somit fest in der Realität verankert ist. Damit schließt er an die alttestamentliche Götter- bzw. Götzenkritik an. In den Propheten und in der Weisheitsliteratur findet sich immer wieder eine Erkenntnis: Menschen schaffen sich etwas, das ihr Leben erhalten soll; dieses gewinnt aber Macht über sie, sie müssen sich dieser Macht beugen, müssen sie verehren; das Selbstgemachte wird zum Götzen. Paulus hat dies in atemberaubender Art an die Kolosser geschrieben: »Christus ist das Bild des unsichtbaren Gottes … In ihm ist alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, seien es Throne oder Hoheiten oder Herrschaften oder Gewalten« (1,16). »Er hat die Mächte und Gewalten entwaffnet, sie öffentlich an den Pranger gestellt und sie im Triumph geführt zu ihm« (2,15). Christi Tod ist deshalb nicht nur ein Akt der individuellen Seelenrettung, sondern der Erlösung der gesamten Welt. Nur aus diesem Verständnis heraus können wir die eigene Ohnmacht überwinden und zu Überwindern von Gewalt und Unrecht werden. Christus hat den Sieg am Kreuz erlangt. Das ist das Evangelium, die gute Nachricht, die wir als Friedenstifter*innen Christi leben.

Der ‚Mythos der erlösenden Gewalt’

Das Evangelium ist deshalb nicht eine Botschaft von der Rettung der Menschen aus dieser Welt, sondern eine Nachricht über die Verwandlung der Welt. Wink kritisiert, dass Gewaltfreiheit und Frieden oftmals nicht möglich sind, da die Menschen an den ‚Mythos der erlösenden Gewalt’ glauben, der uns suggeriert, dass Gewalt nur mit Gewalt zu lösen sei. Dieser ‚Mythos’ prägt Menschen von ihrer Kindheit an, angefangen von populärkulturellen Figuren wie Tom & Jerry oder James Bond, und ist wirksam bis hin zu den gewalttätigen Lösungsversuchen der großen Konflikte und Kriege dieser Welt. Die Botschaft lautet immer gleich: Kein Frieden ohne Gewalt. Mir ist klar, dass dies ein großes und komplexes Thema ist und trotzdem glaube ich, dass wir uns gerade als Kirche im Geist des „Gerechten Friedens“ immer wieder neu von diesem Bild der ‚erlösenden Gewalt’ befreien müssen. Christus, so Wink, durchbricht diese Gewaltspirale durch seinen Tod am Kreuz und entlarvt somit die Mächte dieser Welt. Er stirbt unschuldig und seine gelebte Gewaltfreiheit fordert uns auf zu einem gewaltfreien Widerstand. Heribert Prantl hat dies in seinem Kommentar für die Süddeutsche dieses Jahr aufgenommen und hat eine Linie gezogen von Kain und Abel zu Jesus: „Dieses biblische Lehrstück über die Wurzel der Gewalt geht ungewöhnlich aus – weihnachtlich: Der Kreislauf des Unheils wird unterbrochen. Kain sieht mit Entsetzen, welche Folgen das Gesetz des Stärkeren am Ende auch für den Starken hat, dass auch der Stärkere irgendwann der Schwächere ist. Er erkennt, was ihm blüht: “Rastlos und ruhelos werde ich sein.” Er wird zum Schutzlosen, zu einem, der Asyl sucht und es nirgends finden wird. Wieso sollte denn er jetzt einen finden, der ihn behütet? Das ist das Betriebssystem der Erbarmungslosigkeit.“ Und genau in diesem „Betriebssystem“ leben wir und genau in dieser Welt gilt es den anzurufen, der den Frieden bringen kann. Dessen Utopie von Frieden mitten unter uns beginnen kann. Diesem Frieden jagen wir nach, denn dieser Friede Gottes hat die Kraft diese Welt zu verändern.

 

4. Gebet als spiritueller Widerstand

Und diese Jagd nach Frieden beginnt auf der vertikalen Ebene mit Anbetung und Gebet. Diese Ausrichtung auf Gott ist die Grundlage allen Friedens. “Das Gebet lässt die Luft einer kommenden Zeit in die erstickende Atmosphäre der Gegenwart hineinwehen” (Wink, 154). Die Geschichte gehört den Fürbitter*innen, die durch ihren Glauben die Zukunft heraufführen. Die Zukunft sind die Fürbitter*innen, die die ersehnte neue Gegenwart aus der Zukunft hervorrufen. Wir sind beim Beten eingebunden in einen gemeinsamen Schöpfungsakt, in dem ein kleines Segment des Universums sich erhebt und lichtdurchlässig, glühend wird, zu einem vibrierenden Kraftzentrum, das die Macht des Universums ausstrahlt (Wink 2014). Diese Gebetsspiritualität stellt die biblisch-theologische Grundlage für uns als Friedensstifter dar. Das Streben nach der Gerechtigkeit Gottes identifiziert die herrschenden Mächte dieser Welt. Der herrschende Mythos unserer Kultur, dass Gewalt nur durch Gewalt beendet werden kann, wird durch das Kreuz Christi entlarvt. Die Gewaltspirale ist durchbrochen durch den Tod Christi am Kreuz. Das ist die gute Nachricht. In diesem Wissen sollen die Christinnen und Christen die Mächte dieser Welt identifizieren, um dann dazu beizutragen sie zu transformieren. Dieser Veränderungsprozess fängt gleichermaßen im eigenen Leben an, wie in den sozialen und politischen Systemen dieser Welt vor unserer Haustür (Vgl. Röm 12,2). Ich will aber nicht nur machtlos und überfordert zuschauen, sondern möchte in den „geistlichen Widerstand“ gehen und mich selbst erinnern, dass Christus gekommen ist, die Mächte und Gewalten zu überwinden und Frieden zu bringen gegen alle Widerstände dieser Welt. Mit dieser Hoffnung möchte ich einstimmen in den Chor der weltweiten Fürbitten für die Menschen in Syrien und einladen jede Woche für ein paar Minuten die Arbeit, die Gespräche, die Gedanken zu unterbrechen. Und so habe ich mir einen Konflikt rausgesucht (Syrien), für den ich jeden Freitag um 17:00h bete und ich tue dies nicht alleine, sondern seit 45 Wochen tun dies tausende von Menschen mit mir, über die Social Media Kanäle lassen wir uns in unserem Alltag zum Gebet unterbrechen, um uns gemeinsam vor Gott zu verbinden. Ein kleiner Schritt des Widerstandes, aber einer, der zumindest mich schon verändert hat. Dabei hat mich das Bild von Ghazwan Assaf aus Syrien sehr berührt, weil es so gut ausdrückt, was ich manchmal nur schwer sagen und kaum glauben kann. Ich gehe dem Frieden Gottes nach, weil ich glaube, dass er in den Trümmern unseres Lebens die verändernde Hoffnung ist, gerade da, wo meine Hoffnung versagt und mein Glaube schwach ist. Dieser Blick verändert unsere Perspektive, unser Leben, unsere Gemeinden, so dass wir den Auftrag nachkommen können, dem Frieden Gottes nachjagen.

 

5. Gemeinde als Friedensstifter im Gemeinwesen

Gemeinde heißt ein Leben voller Spannungen, ein Leben im Paradox des Glaubens, ein Leben zwischen der vollkommenen Erlösung Christi und der Sündhaftigkeit unseres eigenen Lebens, ein Leben zwischen heiligen Momenten und zerstörendem Egoismus, zwischen heilender Gemeinschaft und heillosen Streit. Mit dieser hoffnungsvollen Aufgabe gilt es hier auf Erden zu leben. Kirche und Gemeinde hat in der Anrufung und Sehnsucht nach dem Frieden Gottes eine transformierende Kraft mitten im Gemeinwesen. Der britische Theologe N. T. Wright hat dies folgendermaßen beschrieben: »Gott will der Welt durch die Kirche verkünden, dass er tatsächlich der weise, liebende und gerechte Schöpfer ist, dass er durch Jesus die Mächte besiegt hat die die Welt korrumpierten und versklaven, und dass er durch seinen Geist dabei ist, die Welt zu heilen und zu erneuern.« Gemeinde als heilende Dimension des Evangeliums ist Gemeinde für die Welt, ist Hoffnungsträger für die Menschen um sie herum, nicht nur theoretisch, sondern ganz praktisch, wie auf dem Supermarktparkplatz in Gotha, wo eine Kirchgemeinde die eigenen Milieugrenzen durchbricht oder in Neubrandenburg, wo die Lebensgemeinschaft Polylux mit den Menschen im Plattenbau zusammenlebt und so für Hoffnung und Frieden an einem Ort beiträgt, der genau dafür bisher nicht bekannt war. Diesen Mut wünsche ich Kirchen und Gemeinden in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen, Gesichtern und Sozialformen. Dabei ist das Wesen der Kirche mit ihrem Auftrag von Versöhnung, Frieden und Integration entscheidend, damit sie ihre transformatorische Kraft im Gemeinwesen nicht verliert. Dies geschieht leider zu oft, in dem sie sich nur um sich selber dreht, um die eigenen Bedürfnisse und Probleme und die Menschen um sich herum aus dem Blick verliert. Die Kirche ist wieder Kirche, wenn sie von sich wegschaut und sich den Menschen im eigenen Stadtteil oder Dorf wieder neu zuwendet. Wenn Versöhnung, Frieden und Integration in den zwischenmenschlichen Beziehungen gelebt werden und so Christus selbst verherrlicht wird. Das bedeutet:

  1. Gemeinde als sichtbares Zeichen des Friedens: Gemeinde spiegelt das Reich Gottes im jetzt und noch nicht wieder, Gemeinde aus der Sicht der Ewigkeit bauen mitten in der „kaputten“ Welt
  2. Gemeinde als heilende Dimension des Evangeliums: Gemeinde ist sich selbst nicht genug ist, sondern für die Menschen vor Ort da und wird so zum sichtbaren Christus
  3. Gemeinde in Wort & Tat: der sozialdiakonische (öffentliche) Auftrag der Gemeinde und das Ende der „Subkultur“, Gemeinde als „Kontrastprogramm“ mitten in der Welt.

Die Grundlagen für ein Leben als Friedensstifter*in Gottes sind gelegt – auch wenn sich der Friede Christi in dieser Welt in aller Bruchstückhaftigkeit zeigt, und erst vollkommen sein wird, wenn er wiederkommt und sein Werk auf Erden vollenden wird. Bis dahin leben wir in der Spannung zwischen ‚jetzt‘ und ‚noch nicht‘. Aber so lange will ich diesem Frieden Gottes nachjagen, nicht müde werden, denn er ist die Hoffnung, die die Gegenwart verändert. Der britische Theologe NT Wright hat dies schön in dem Satz zusammengefasst: „Wir sind noch nicht im Himmel, aber wir können die Melodie des Himmels schon singen.“Und es ist ein Lied des Friedens, das wir als Christinnen und Christen gemeinsam mitten in dieser Welt singen dürfen.

 

Bild: (c) by Ghazwan Assaf. Mehr zum Künstler und seinen Bildern hier.

 

 

„Segnet, die euch verfolgen, segnet sie und verflucht sie nicht! Freuen wollen wir uns mit den Fröhlichen und weinen mit den Weinenden. Seid allen gegenüber gleich gesinnt; richtet euren Sinn nicht auf Hohes, seid vielmehr den Geringen zugetan. Haltet euch nicht selbst für klug! Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! Wenn möglich, soweit es in eurer Macht steht: Haltet Frieden mit allen Menschen! “Römer12, 14-18

 

„Suche Frieden und jage ihm nach“ Psalm 34,15

 

Wiederkäuer

Im übersättigten Hungerjahrhundert kaue ich die Legende Frieden

und werde nicht satt

Kann nicht verdauen die Kriege sie liegen

mir wie Steine im Magen Grabsteine

Der Frieden

liegt mir am Herzen

ich kaue

kaue

das wiederholte Wort

und werde nicht

satt

ROSE AUSLÄNDER (aus „Verstehen durch Stille/Loccumer Brevier“, 2003, S. 313)

 

 

 

14 Comments

  1. Hauke Burgarth

    Danke für die hilfreichen Gedanken. Damit ist dann die Jagdsaison wohl eröffnet. Ich wünsche Dir auch frohes Nachjagen.

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  2. Vielen Dank für Ihren Beitrag zur Jahreslosung, Herr Faix.
    Für meine Arbeit als Friedenspädagoge am von der Landeskirche Hannover so titulierten Friedensort Sandbostel, ehem. Kriegsgefangenen- und KZ-Auffanglager, heutige Gedenkstätte Lager Sandbostel, ist die Jahreslosung geradezu eine Steilvorlage.
    Shalom.
    Michael Freitag-Parey

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  3. “Das Evangelium ist deshalb nicht eine Botschaft von der Rettung der Menschen aus dieser Welt, sondern eine Nachricht über die Verwandlung der Welt.”
    Ich denke Missverständlich ausgedrückt für Bibelsprachedenkende. Sicher nicht so gemeint.
    Ich hätte es so ausgedrückt: Gerettet aus der Welt,.um verwandelt, in der Welt zu wirken “
    Menea

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  4. Danke, ok, “aus” der Welt werden wir ja nicht genommen/gerettet, sind ja immer noch Teil dieser Welt, vielleicht “von”, im Sinne von “von den Mächten” dieser Welt…..

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    • Danke. Sehr aufmerksam, habe es verbessert, muss heißen: Dieser Blick verändert unsere Perspektive, unser Leben, unsere Gemeinden, so dass wir den Auftrag nachkommen können, dem Frieden Gottes nachjagen.

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  5. Klemens Kißner

    danke für die gründliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich bin beim Predigtvorbereiten drauf gestoßen. Ich nehme einige tolle Anstöße mit für meine Predigt. Da mein Part in der Predigtreihe Römer 5 und der Friede mit Gott sein wird, bin ich in deinem Essay unter Punkt 2 gestolpert:
    Du zitierst den starken Gedanken aus 2. Kor.5: “wir wurden mit Gott versöhnt und dürfen jetzt in diesem Geist als Friedensboten in dieser Welt unterwegs sein.”
    Am Anfang hast du die inhaltliche Nähe zwischen Shalom und Heil angesprochen. Unser Hauptbemühen zielt dann in die Richtung, andere selbst in die heilvolle Gemeinschaft mit Christus hineinzustellen. Das ist ja nicht nur bei mir als Christ die allesentscheidende Grundlage für meinen Frieden: sie wird es für meinen Nachbarn und Kollegen auch sein. Die Befreiung von den Mächten dieser Welt geschieht nicht ohen die Wahrnehmung, dass ich in einem grundlegenden Unfrieden mit Gott bin, grundlegende Vergebung bedarf. Die vertikale Ebene des Kreuzes gilt für meinen Mitmenschen idealerweise auch. Ich kann horizontal mit ihm Frieden gestalten, aber er braucht persönlich die Kraft aus der vertikalen Ebene, um in sich selbst zum Frieden zu finden. Wahrscheinlich implizierst du das, aber die Dimension der Umkehr und das Geschenkt der pserönlichen Erlösung wird in dem Essay nur gestreift. Überspitzt: ich leben von einer Quelle. Jetzt gebe ich den anderen ab von dem wohltuenden Wasser. Es tut ihnen gut. Aber ich führe sie nicht selbst hin zur Quelle, oder erst unterwegs irgendwann im Nachgang. Ich denke, dass Paulus aber genau das meinte, wenn er Christen als “Botschafter der Versöhnung” sieht: vorlallen Dingen Menschen zur Versöhnung mit Gott aufrufen und hinführen. Euangelion als gesprochene gute Nachricht: Jesus hat Frieden geschaffen: das gilt für dich individuell und in vollem Umfang. Die soziale Ebene des Friedens untereinander ist eine natürliche Frucht daraus.
    Mir fehlte das hier. Ist das in deiner Ausführung bewusst nur impliziert und am Rande?

    Sehr erhellend war für mich, wie du “die Erlösung der ganzen Welt / Mächte der Welt” anhand von Koloser 2 darlegst: eben Heil nicht nur individuell betrachten…
    Danke für das Teilen.
    Klemens

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    • Danke für deinen Kommentar Clemens. Ich kann deine “Übersetzung” gut nachvollziehen und teile sie aber nur halb, denn Sie geht von einer sehr engen, um nicht zu sagen individualistischen Sicht des Heils aus. Wenn ich in die Bibel schaue, dann finde ich das auch (“Komm, folge mir nach”), aber die Kraft des Kreuzes wirkt auch in der horizontalen Ebene und Versöhnung kann auch auf sozialpolitischer Ebene geschehen (siehe Schalom oder die Erlösung des Kosmos Kol 2). Beides gehört für mich untrennbar zusammen….

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  6. pneumatheou

    Wer von Frieden schreibt muss immer auch bedenken, der Welt kann man keinen Frieden geben und bringen, die Welt lässt sich nicht befrieden und man sollte sich auch dort nicht einmischen. Die Welt rennt im Hamster-Rad seit Jahrhunderten und Jahrtausenden. Und die Offenbarung des Johannes macht klar, nicht wir bringen den Frieden in die Welt sondern nur der Sohn Gottes durch die Inhaftierung eines der mächtigsten Geistwesen. Wir finden unseren Frieden in der Gemeinschaft der Gläubigen. Denen, die den Frieden Gottes in ihrem Herzen haben. Einen Frieden der in solch einer Welt, sich durch Liebe offenbart. Ein Frieden der keinen Wehrdienst unterstützt, der keine Wortgefechte führt, der andere wie ein Kriegsgericht verurteilt sondern sie gewinnen will, mit allen Frucht des Geistes. Wir sollten aufhören uns selbst zu verteidigen, stattdessen aber im Glauben die Liebe, Gerechtigkeit, Wahrheit und Hoffnung.

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